Haushalt: In der Regel legal

Mit einer gewagten Konstruktion erklärt Finanzminister Helmut Linssen seinen Haushaltsentwurf für verfassungskonform. Die Opposition sieht das anders. Klagen will aber zunächst niemand

VON KLAUS JANSEN

Die Opposition im Landtag hält den Haushaltsplan der Landesregierung für verfassungswidrig. „Der Entwurf widerspricht ganz klar den gesetzlichen Vorgaben“, sagte SPD-Generalsekretär Michael Groschek der taz. Der grüne Haushaltspolitiker Rüdiger Sagel warf der schwarz-gelben Koalition „Klientelpolitik statt Sanierung“ vor.

Der von NRW-Finanzminister Helmut Linssen (CDU) vorgelegte Haushaltsplan sieht eine Neuverschuldung von rund 5,9 Milliarden Euro vor. Die Investitionen belaufen sich dagegen nur auf knapp 4,5 Milliarden Euro. Linssen hält den Entwurf dennoch für rechtlich korrekt: Es sei dem Land „objektiv unmöglich“, Zahlungsverpflichtungen aus Bundesgesetzen und die von der Landesverfassung festgeschriebenen Pflichtaufgaben ohne eine höhere Verschuldung zu erfüllen, sagte er.

SPD-Generalsekretär Groschek hält diese Argumentation für eine „selbstgerechte Konstruktion“. Und auch Experten halten die Begründung für die hohe Verschuldung für zweifelhaft: „Das ist eine völlig neue Interpretation des Verfassungsrechts“, sagt der Dresdner Finanzwissenschaftler Helmut Seitz, der zur Nachhaltigkeit von Länderhaushalten geforscht hat.

Während das Grundgesetz dem Bund es nur bei einer „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ erlaubt, mehr Schulden aufzunehmen als zu investieren, ist die nordrhein-westfälische Landesverfassung in diesem Punkt unklar: „Die Einnahmen aus Krediten dürfen [...] in der Regel nur bis zur Höhe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen [...] eingestellt werden“, heißt es im Gesetzestext.

Die Regierung Rüttgers legt die Formulierung „in der Regel“ nun flexibel aus: „Der Gesetzgeber hat an finanzielle Situationen wie die aktuelle nicht gedacht“, so eine Sprecherin von Finanzminister Linssen. In der neueren verfassungsrechtlichen Literatur werde das Kriterium der „objektiven Unmöglichkeit“ jedoch wie ein ungeschriebenes Gesetz gewertet. Die Landesregierung müsse im Fall einer Klage vor Gericht allerdings darlegen können, dass sie ernsthaft an einer Sanierung des Landes arbeite.

Ob sich die Regierung Rüttgers mit ihrem Haushaltsplan nun tatsächlich die Verfassung zurechtbiegt, könnte wohl nur ein Gerichtsurteil klären. Die rot-grüne Opposition will jedoch zunächst nicht klagen – wohl auch, weil sie mit ihren Nachtragshaushalten der vergangenen Jahre selbst die Höchstgrenze für Neuverschuldung deutlich überschritten hatte. „Wir werden den Haushaltsentwurf genau prüfen, wenn er in den Landtag eingebracht wird“, sagte SPD-Generalsekretär Michael Groschek.

Verdächtig still verhält sich auch Rüttgers Koalitionspartner FDP: Die hatte in Berlin noch vor Wochen getönt, gegen einen verfassungswidrigen Bundeshaushalt vor Gericht ziehen zu wollen. Den nordrhein-westfälischen Haushaltplan lobt Fraktionschef Gerhard Papke hingegen in einer Presseerklärung als „überzeugenden Einstieg in die Sanierung der Landesfinanzen“. Für Nachfragen waren gestern weder Papke noch sein Generalsekretär Christian Lindner und auch die liberalen Fachpolitiker nicht zu erreichen.