Ihr müsst draußen bleiben

Im Zentrum von Hamburgs Großprojekt, der Hafencity, werden private Gesellschaften das Hausrecht haben: Das Nobel-Areal wird zwar rund um die Uhr geöffnet sein, aber nicht für alles und jeden

von Gernot Knödler

Es sollte ein Beispiel für „die europäische Stadt des 21. Jahrhunderts“ liefern, das so genannte „Überseequartier“, Kernstück von Hamburgs Hafencity. Herauskommen wird aller Wahrscheinlichkeit nach ein steriles Einkaufs- und Vergnügungsviertel ohne Raum für weniger konsumfreudige StadtbewohnerInnen oder nonkonforme Szenen. Demonstrationen werden eine Bogen machen, Unterschriften vor den Toren des Glitzer-Viertels gesammelt werden müssen – soviel ist absehbar.

Das Überseequartier ist der zentrale Teil der Hafencity, dem derzeit wahrscheinlich größten Stadtentwicklungsprojekt Europas. Noch mindestens bis 2020 soll am südlichen Rand der Innenstadt, auf ehemaligem Hafengelände, eine City-Erweiterung entstehen. Ausdrücklich erwünscht ist ein städtischer Charakter des neuen Viertels: eng bebaut mit einer Mischung aus Wohnungen, Büros, Läden, Restaurants und Kultureinrichtungen. Auf 100 Hektar Land und 55 Hektar Wasserfläche sollen in Zukunft einmal 40.000 Menschen arbeiten und 12.000 Menschen wohnen. Momentan wohnen in der Innenstadt nur ein paar Tausend Leute.

Auf dem Areal des Überseequartiers, das die Bürgerschaft jetzt mit CDU-Mehrheit an ein deutsch-niederländisches Investoren-Konsortium verkauft hat, liegt das eine Ende eines Spannungsbogens, der die Hafencity mit dem Jungfernstieg verbindet. Hier soll der Kreuzfahrer-Terminal liegen, der viele Tausend Touristen in die Stadt locken soll. Die Stadt investiert 42 Millionen Euro in ein Aquarium mit Wissenschaftserlebnismuseum („Science-Center“) und womöglich dem beliebten Planetarium. Die 48.000 Quadratmeter Einzelhandelsfläche, die hier gebaut werden sollen, entsprechen 50% der Einzelhandelsflächen, die derzeit die Innenstadt aufweist.

Mit dem Verkauf an das Konsortium aus ING Real Estate, Bouwfonds sowie Groß&Partner lässt der Senat zum ersten Mal ein ganzes Quartier der Hafencity von einem Investor bebauen. Ein Konsumviertel wie dieses, so die Idee, müsse aus einer Hand entwickelt werden. In den beiden bisherigen Wohn- und Büroquartieren wurden die Grundstücke kleinteilig an verschiedenen Bauherren vergeben, um eine möglichst große Vielfalt und Lebendigkeit zu erreichen. Die Frage, ob Straßenraum privatisiert würde, stellte sich nicht.

Auch für das Überseequartier hatte der Senat versprochen, dass die Straßen und Plätze öffentlicher Raum sein würden. Der Vertragstext eröffnet den Investoren allerdings andere Möglichkeiten: Der Eigentümer hat demnach das Hausrecht. Er darf einen Gebrauch ausschließen, der „über die Teilnahme am allgemeinen öffentlichen Verkehr oder den Anliegergebrauch hinausgeht“. Weil er außerdem „eine 24-stündige ununterbrochene Zugänglichkeit des Bereiches“ gewährleisten muss, findet Jürgen Bruns-Berentelg, Chef des städtischen Projektentwicklers Hafencity GmbH, er habe ein gutes Verhandlungsergebnis erreicht. Man brauche es bloß mit den Regeln für eine Einkaufspassage vergleichen, die abends verrammelt werde.

Demonstrationen, räumt er ein, werden wohl außerhalb des Quartiers stattfinden müssen. Und ob ein Ausschluss randständiger Gruppen wie Obdachloser und Bettler möglich sei, müsse er noch prüfen lassen. Ein öffentlicher Raum definiert sich für ihn aber nicht über das Demonstrationsrecht. Bruns-Berentelg: „Wir haben es hier nicht mit dem Eingang des Rathauses zu tun.“

Der GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Claudius Lieven sieht das anders: Hier Einschränkungen zu vermeiden sei wichtig, „weil es in den Städten immer die Marktplätze waren, auf denen sich das öffentliche Leben abspielte“, sagt er. „Und hier soll nur noch Handel sein – der Wandel wird gestrichen.“