Die Krisen des Bürgers

JUBILÄUM Vor 25 Jahren gab Jörg Johnen sein Galeristendebüt, vor sechs Jahren kam er nach Berlin. Jens Hoffmann hat zum Jubiläum die dreiteilige Schau „Konversationsstücke“ über bürgerliche Identität kuratiert

Hans-Peter Feldmanns Sammlung von Hüten in einem altertümlichen Schrank und ein gefährlich auf der Kippe stehender Eimer voll mit Eiern deuten auf die Labilität der bürgerlichen Verkleidung. Sie entpuppt sich unter Umständen als zerbrechliche Schale

VON RONALD BERG

Von außen sieht das Haus Marienstraße 10 mit seiner Buttercremefassade nicht viel anders aus als die anderen in Pastelltönen aufgehübschten Bürgerhäuser der Straße. Allerdings sorgt eine mit Farbe bekleckerte Tür für Irritation. Passiert man die Tür, setzt sich die Farbschweinerei fort. Das Treppenhaus ist bis zum obersten, zweiten Stock mit schwarzweißen Farbspritzern übersäht. Ganz oben thront ein aufgesockelter Totenschädel und gibt der Szenerie einen Touch von Heavy Metal. Die Malerei stammt von Robert Kusmirowski, der bleiche Totenschädel von Katharina Fritsch. Der bürgerliche Wohnbau wird so als Ort kenntlich, an dem sich gleich drei Kunstgalerien befinden.

Schaufenster fehlen

Seit Ende letzten Jahres befinden sich die Dependance der Wiener Galerie Krobath, spezialisiert auf zeitgenössische österreichischer Kunst, und die Hamburger Produzentengalerie ph projects in dem ehemaligen Wohnhaus vom Beginn des 19. Jahrhunderts. Platzhirsch ist aber eindeutig die Johnen Galerie, die Kunstgrößen wie Jeff Wall, Hans-Peter Feldmann, Dan Graham, Stephan Balkenhol oder Candida Höfer im Programm hat und neben einigen jungen Künstler auch Robert Kusmirowski zu ihren Schützlingen zählt. Das alte Haus hat Galerist Jörg Johnen kurzerhand gekauft. Schaufenster fehlen. Dafür gibt es für den Galeristen eine Wohnung im Haus, eine Künstlerwohnung steht zur Verfügung, und in der Noch-Remise soll später Platz für Johnens Sammlung sein.

Erst 2004 wagte Jörg Johnen den Sprung vom Rhein an die Spree wie viele Kollegen vor ihm. „Vielleicht zu spät“, wie er einräumt. Bis letztes Jahr hinein betrieb Johnen seine Galerie allerdings noch im gläsernen Pavillon eines ehemaligen DDR-Postamts an der Schillingstraße. Ein zweites Standbein in Köln behielt er bis letztes Jahr bei. Der Neuanfang unter neuer Adresse fällt zusammen mit einem Jubiläum. Vor 25 Jahren gab der fast noch etwas schüchtern wirkende Johnen sein Galeristendebüt. Zusammen mit dem erfahrenen Münchner Galeristen Rüdiger Schöttle wurde in Köln Johnen & Schöttle gegründet. Wie hält man ein Vierteljahrhundert durch und hat dazu noch Erfolg? „Ich hatte ein psychisches Motiv,“ sagt der mittlerweile sechzigjährige, aus dem Schwäbischen stammende Jörg Johnen. „Ich kann persönlich in einer künstlerischen Welt besser leben als in der realen.“

Zum Jubiläum haben sich nun auch Johnens Galerieräume verwandelt: Das Entree ist rot gestrichen und mit goldenen Lettern versehen, die Ausstellungsräume bekamen ein blasses Türkis verpasst. Das Ganze wurde dem benachbarten Deutschen Theater abgeguckt. Rot ist dort das Foyer, türkis die Fassade. Aber die Anverwandlung ans Theater geht noch weiter bis in die Konzeption der großen, dreiteiligen Jubiläumsschau mit dem Titel „Konversationsstücke I–III“. “Ein Kammerspiel“ nennt der Kurator der Jubiläumsausstellung, Jens Hoffmann, die Reihe doppeldeutig.

Hoffmann, Jahrgang 1974, ist Direktor des Wattis Institute for Contemporary Arts in San Francisco und hat sich die Sache im Auftrag von Johnen ausgedacht. Hoffmann hat in Berlin an der Ernst-Busch-Schule Theaterregie studiert, aber dann nie eine Inszenierung gemacht – jedenfalls nicht auf dem Theater. Durch die Mitarbeit an den Theaterskizzen auf der documenta X (1997) ist Hoffmann ins kuratorische Fach gerutscht. Auf den Theaterkontext angesprochen, meint Hoffmann: „Ich kuratiere immer so. Ich suche einen Ausgangspunkt und versuche Bezüge herzustellen – historisch, geografisch.“

Geliehene Archivalien

Die Bezüge zum Wohnhaus einer bürgerlichen Epoche und zum Theater, das die dortigen Ehe- und Familiendramen reflektiert, bewirken eine streng dramatische Struktur der Ausstellung. Drei Akte werden als je eigene Ausstellungsteile von Januar bis April zu sehen sein. Sie bestehen aus jeweils drei Szenen, die drei Galerieräumen zugeordnet sind. 18 Künstler aus dem Pool der Galerie hat Hoffmann in der Schau unterbringen können. Dazu kommen geliehene Archivalien aus dem Deutschen Theater, Szenenfotos und Plakate zu Tschechow, Ibsen oder Gorki und sogar das originale Regiebuch von Max Reinhardt zu Strindbergs „Totentanz“ von 1913.

Die in Vitrinen geborgenen Reliquien der Inszenierungen aus dem DT ergänzen ein fotografisches Diptychon von Rodney Graham. In seiner „Fantasia For Four Hands“ kommt Graham selbst gleich vierfach, gedoppelt und gespiegelt, vor. Als zentrales Werk der Ausstellung verweist Grahams Arbeit programmatisch auf die zentralen Inhalte sowohl der alten Konversationsstücke des Theaters wie auf deren aktuelle Adaption im Kunstkontext: Es geht um die bürgerliche Identität und die existenziellen Krisen des bürgerlichen Subjekts.

Diesem Feld gilt auch die Aufmerksamkeit von Tim Lee, der sich in die Rolle von Popstars begibt. Hier ist es Neil Young, dreifach überblendet in einer Diaprojektion, womit die Fragwürdigkeit des role models gleich thematisiert wird. Hans-Peter Feldmann steuert die Requisiten der bürgerlichen Existenz bei: Seine Sammlung von Hüten in einem altertümlichen Schrank und ein gefährlich auf der Kippe stehender Eimer voll mit Eiern deuten auf die Labilität der bürgerlichen Verkleidung, die sich unter Umständen doch nur als zerbrechliche Schale entpuppt. Den Moment der Entscheidung hat Anri Sala im letzten Raum zum Thema gemacht. Salas Protagonist ist Andre Agassi. In einem einminütigen Filmloop ist nichts weiter zu sehen als ein Standbild mit dem konzentrierten Gesichts des Tennisspielers beim Aufschlag. Zwei einkopierte, flüchtig aufflackernde Punkte am Bildrand markieren die winzige Zeitspanne, während dessen der Ball ins gegnerische Feld geschlagen wird. Ein Augenblick, der über Sieg und Niederlage entscheiden kann – vielleicht eines Matchs, vielleicht aber auch einer ganzen Karriere.

Hoffmanns Ansatz macht aus dem heterogenen Künstlermaterial eine dramatische Narration. Das liefert weit mehr als eine Best-of-Show aus 25 Jahren Galeriearbeit. Es nimmt den Kunstwerken nichts, liefert aber die aus dem Theater bekannten Qualitäten: in erster Linie Spannung. Man darf also gespannt sein, wie sich diese „Exposition“ im ersten Akt am Ende auflösen wird.

■ Johnen Galerie, Marienstraße 10, Di bis Sa 11–18 Uhr. Der I. Teil der „Konversationsstücke“ ist bis 6. Februar zu sehen. Der II. Teil folgt Mitte Februar