Kommentar Grubenunglück in der Türkei: Erdogans Tote
Die türkischen Gewerkschaften nennen das Grubenunglück ein „Verbrechen“ der AKP-Regierung. Ihre Kritik ist berechtigt.
Kein Unglück, sondern ein „Verbrechen“. So ist eine Pressemitteilung der türkischen Gewerkschaft für Transport von gestern überschrieben – und mit ihrer Meinung über die Tragödie in Soma sind die Transportarbeiter nicht allein.
Der linke Gewerkschaftsverband DISK sprach von einem Massaker, in Ankara machten Tausende Studenten die Regierung dafür verantwortlich und versuchten, von der Uni zum Energieministerium zu ziehen.
Kein Zweifel, die Kritik ist berechtigt. Türkische Bergwerke gelten schon lange als Todesfallen, aber seit viele Gruben unter der AKP auch noch privatisiert wurden, haben sich die Arbeitsbedingungen dort oft noch verschlechtert. Durchführbar ist das zumeist nur mit rechtlosen Leiharbeitern, die über Subunternehmer in die Bergwerke gebracht werden und die sich wegen ihres unsicheren Status kaum trauen, mangelnde Sicherheitsstandards anzuprangern.
Die Türkei hat unter Ministerpräsident Erdogans Regierung in den letzten zwölf Jahren einen erstaunlichen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt; aber dieser hat, wie besonders krass in Soma zu sehen ist, seinen Preis. In vielen Branchen sind die Arbeitsbedingungen brutal. Nicht nur im Bergbau, auch auf den Schiffswerften am Marmarameer, auf den unzähligen Baustellen, in der Textilindustrie und auf den Baumwollfeldern ruinieren Arbeiter Jahr für Jahr ihre Gesundheit oder lassen gar ihr Leben. Allein im Jahr 2013 sollen bei Arbeitsunfällen 1.235 Menschen umgekommen sein.
Erdogan fährt einen knallharten neoliberalen Wirtschaftskurs, Gewerkschaften sind für ihn allenfalls ein lästiger Störfaktor. Sie werden unter der AKP-Regierung behindert, wo es nur geht, sichtbar für alle nicht nur am 1. Mai, sondern auch in einer katastrophalen Gesetzgebung.
Wieder einmal gehen die Erdogan-Kritiker jetzt auf die Straße, um gegen diese skrupellose Politik zu protestieren; und wieder einmal wird ihnen der andere Teil der türkischen Gesellschaft – das sind diejenigen, die Erdogan bedingungslos unterstützen – gegenüberstehen.
In gut zwei Monaten will sich der Regierungschef zum neuen Präsidenten der Türkei wählen lassen. Kritik an seiner Regierung ist deswegen nicht vorgesehen. Die Spannungen im Land nehmen weiter zu, niemand hier weiß mehr, was am nächsten Tag passiert.
Leser*innenkommentare
Gerda Fürch
Die kritische Haltung und Stellungnahme der türkischen Gewerkschaften kann ich teilen, aber nicht die Ausdrucksweise mit "Massaker" und "Verbrechen".
Es geht um die sehr mangelhafte Sicherheitstechnik in den Bergwerken in der Türkei, die schon mehrere Jahre angeprangert worden ist. Es geht um die Arbeitsbedingungen in den Bergwerken in der Türkei. Es ist sehr wohl Aufgabe und Pflicht der Gewerkschaften und Betriebsräte, als demokratisch gewählte Interessenvertretung der Beschäftigten auf solche gravierenden Sicherheitsmängel hinzuweisen und bekanntzumachen.
Hat scheinbar nichts genützt, denn die Sicherheitsmängel wurden nicht behoben! Dafür soll die Regierung unter Erdogan verantwortlich sein. Die Kritik an Erdogan ist damit berechtigt.
Das sehen auch so die Bergleute mit türkischen Wurzeln im Ruhrgebiet. Sie sollen verunsichert, sehr betroffen sein und nehmen Anteil an dem Unglück ihrer Berufskollegen in der Türkei.
Die Kohlebergwerke im Ruhrgebiet sollen keine solche Sicherheitsmängel haben.
Ich nehme daher guten Gewissens auch Anteil an dem Unglück der vielen Bergleute, die tot sind und die vielen, die nicht mehr aus den Stollen gerettet werden können.
Tim
für herrn gottschlich ist alles berechtigt, das nach einer kritik an erdogan aussieht.