Wie auf Speed

MUSIKPREIS Eine fade und doch gehetzte Echo-Verleihung, Frei.Wild lässt sich draußen feiern

„Der Teufel scheißt auf den größten Haufen“-Preis wäre der angemessenere Name für den Echo

Wie kann man es nur schon auf den ersten Metern so dermaßen verhühnern? An zwei sehr sichtbaren Seilen schwebt Moderatorin Helene Fischer ins Berliner Palais am Funkturm, schlägt drei ungelenke Salti, singt eine unheimlich biedere Version von „Let me entertain you“ und begrüßt das Publikum allen Ernstes mit „Tja, der Echo. Das ist schon eine ganz besondere Musikverleihung.“

Tja, haha. Das ist er wirklich. Liegen ihm doch bei den Nominierungen keine künstlerische Kriterien zu Grunde, sondern ausschließlich die Chartsplatzierungen der vergangenen zwölf Monate. „Der Teufel scheißt auf den größten Haufen“-Preis wäre der passendere Name.

Welche Probleme dieses Verfahren so mit sich bringen kann, bekamen die Echo-Veranstalter vom Bundesverband Musikindustrie (BVMI) vor zwei Wochen zu spüren: Die automatische Nominierung der Südtiroler Hardrockband Frei.Wild führte dazu, dass die ebenfalls in der Kategorie „Rock/Alternative national“ aufgestellten Kraftklub und MIA. ihre Teilnahme absagten, weil sie Frei.Wild zu nah an rechtem Gedankengut sehen. Anderthalb Tage wogten Empörungswellen, dann entschloss der BVMI sich, Frei.Wild wieder auszuladen. Davon ist am Abend der Verleihung nur noch vor dem Palais am Funkturm etwas zu spüren. Dort lassen sich Frei.Wild von Hunderten Fans feiern. Die halten Plakate hoch und tragen weiße Shirts mit der Aufschrift: „Frei.Wild gegen Rassismus und Extremismus“. Nach drinnen dringt das alles nicht vor. Nur ein Wort fällt: „Kontrovers“ sei die Kategorie gewesen, sagt Preisüberreicherin Katie Melua. Und vergisst, die anderen Nominierten vorzulesen, was sonst in keiner Kategorie passiert. Zufall? Wohl kaum. Unheilig bekommen schließlich den Preis. Sie hatten sich als einzige Nominierte der Sparte aus dem Streit rausgehalten.

Ansonsten verliert man bei den 27 sich zum Teil überlappenden Kategorien schnell den Überblick. Fast jeder Nominierte darf auch einen Preis überreichen, in einem Einspielerfilmchen vorkommen und als Live-Act auftreten. Cro, Die Toten Hosen als größte Preisabräumer des Abends, Boss Hoss, David Garrett und Lena Meyer-Landrut – und dann wieder von vorn. Alles läuft wie auf Speed, die Kunst des Tempowechsels, des Innehaltens scheint der Regie fremd zu sein – was auch wenig Wunder nimmt, wenn zahllose Kategorien und Live-Acts in drei Stunden gepresst werden. Die „magischen Momente“, die von der niemals lockere Helene Fischer beschworen werden, schafft man so natürlich nicht. MBR