Schnattern aus dem vermüllten Keller

Die Roll Deep Crew hat es mit ihrem neuen Album geschafft, Grime chartkompatibel zu machen. Mit Mainstream hatte ihr Konzert im Café Moskau aber trotzdem nichts zu tun: Die vier Rapper bewiesen im Highspeed-Verfahren, dass Grime zu radikal ist, um abseits von Eingeweihtenzirkeln zu funktionieren

VON TOBIAS RAPP

Das Merkwürdige an Grime, schrieb der Musikkritiker Simon Reynolds vor kurzem, sei der Umstand, dass diese Musik sich weigere zu explodieren. Seit drei Jahren gehe das nun schon so, seit der ersten großen Dizzee-Rascal-Single „I Luv U“: Grime werde einfach nicht zum Mainstream-Phänomen. Was nicht weiter verwunderlich ist: Die meisten Underground-Genres fühlen sich in ihren Nischen ja ganz wohl. Aber, so Reynolds, mit Slogans wie „We’re coming through, you can’t stop us“ behaupte Grime die ganze Zeit das Gegenteil. Das sei wie „an endless fuck without climax“ und habe einen höchst ungesunden libidinösen Energiehaushalt.

Die Roll Deep Crew, die ehemalige Posse von Dizzee Rascal und die erfolgreichste Gruppe des Genres, versucht aus diesem Dilemma zu entkommen: Sie will ins Musikfernsehen und in die Charts. „In At The Deep End“ heißt ihr neues Album und im Unterschied zu allen anderen Grime-Alben, die bisher ihren Weg nach Deutschland fanden, hört es sich kaum noch nach Grime an – diesem aggressiv-basslastigen Londoner Dancehall-Rave-HipHop-Hybrid, dieser Mischung aus Playstationsounds, tonnenschweren Bässen, peitschendem Snare-Geschnalze und Hochgeschwindigkeitsrapperei. Nein, auf dieser Platte sitzt jede Funkgitarre an ihrem Platz, jede Backroundsängerin singt an der richtigen Stelle – kurz: Dem Weg in die R&B-Charts sollte nichts entgegenstehen, rund 60.000 Stück hat das Album in England schon verkauft.

Aber wenn man sich die CrewSamstagnacht auf der Bühne des rappelvollen Café Moskau so anschaute, war man irritiert: Live hatte das so gar nichts mit dem Album zu tun – die Musik, die die vier nach Berlin gereisten Rapper und ihr DJ da aufführten, sollte es tatsächlich schwer haben, jenseits von Eingeweihtenzirkeln zu zünden. Auch wenn sich der Novelty-Faktor in gut drei Jahren schon ein wenig abgenutzt hat – Grime ist schlichtweg einer der radikalsten Musikentwürfe, die es gerade gibt.

Auf der Bühne ist nichts mehr zu spüren von der kommerzradiofreundlichen Atmosphäre des Albums. Wenn das hier Radio sein soll, dann ein Piratensender, der aus einem zugemüllten und verkifften Keller des Londoner East End sendet. Wobei sich die schöne These, dass es mit Grime endlich eine Musik geschafft habe, sich vom großen US-Vorbild abzuwenden und den britischen Inner Citys eine repräsentative Stimme zu geben, live als reine Projektion erweist.

Worum es in den Texten geht, das ließ sich nämlich nur erahnen: Ab und zu schnappte man ein Wort auf, das nahe legte, dass die Crew sich wohl mit den ewigen Themen Kiffen, Mädchen, Mobiltelefone und Der-Größte-Sein beschäftigte. Aber das war auch gar nicht so wichtig. Denn die eigentliche Aufgabe der Rapper war nicht, dem Publikum etwas zu erzählen, sondern den Takt vorzugeben. Die reduzierten Rhythmus-Spuren, die DJ Carnage seinen Schreihälsen unter die Stimmen legte, waren so abstrakt, dass sie ohne das Highspeed-Geschnatter der MCs keinen Groove ergeben hätten. Ein Umstand, den der DJ noch betonte, indem er ständig Dub-Effekte bemühte und den Bass ganz wegdrehte. Da musste man dann schon äußert präzise rappen, besonders wenn man fortwährend zu viert durcheinander brüllt.

Diese Kombination macht dann aber die ganz eigentümliche Radikalität von Grime aus. Markerschütternde Zweiton-Basslinien (die Organisatoren hatten noch Extra-Basslautsprecher aufgestellt), Snare-Sounds, die sich anhören, als hätte man das Klappern einer mechanischen Schreibmaschine auf die Lautstärke eines Düsenjägers verstärkt, und vier Männer, die das Ganze mit ihrem Dancehall-geprägten, Testosteron-gesteuerten Schnatterstyle zusammenhalten.

Nur für eines hat auch Grime noch keine wirkliche Lösung gefunden: das ewige HipHop-Problem, dass die Performance auf die Dauer schlicht langweilig ist. Ja, der DJ stoppt die Stücke ab und zu und lässt alle schreien, ja, die Rapper fordern die Ladies regelmäßig zum Kreischen auf und das Gesamtpublikum zum Armeschwenken. Das ist es dann aber auch schon mit der Spontaneität. Und kann rasch ermüdend sein.