„Kampf um Anerkennung“

VORTRAG Eine Wissenschaftlerin klärt über den Zusammenhang von Gewalt und Migranten auf

■ ist Professorin im Bereich Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit der Hochschule Darmstadt

taz: Sie sprechen heute über kriminelle Gewalt bei jungen männlichen Migranten. Steckt da die Erklärung schon im Thema, Frau Spindler?

Susanne Spindler: Nein. Der Migrationshintergrund führt zu einer Situation, die von Ressourcenlosigkeit geprägt ist. Da sehe ich den Zusammenhang. Es gibt auch viele Parallelen zu deutschen Jugendlichen – aber die sind nicht denselben Diskriminierungen ausgesetzt.

Welche Rolle spielt Religion?

In meiner Untersuchungsgruppe spielte Religion keine besonderer Rolle.

Ist der kulturelle Erklärungsansatz von Kriminalität also eher hinderlich?

In Deutschland hat man sehr lange versucht, viel mit Kultur zu erklären. Letztendlich kommt man damit aber nicht weiter. Wir sollten uns zuerst die strukturellen Bedingungen anschauen, im Schulsystem ebenso wie auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Die Benachteiligungen führen am Ende dazu, dass die Jugendlichen ihre Männlichkeit in einer übersteigerten Form benutzen, um sich in der Gesellschaft einen Stand zu erarbeiten.

Wie kann man dem entgegenwirken?

Das Bildungssystem müsste sich öffnen. Armut führt ja schon an sich zu schlechten Bildungschancen, aber der Migrationshintergrund verstärkt das nochmal. Deshalb muss man von der Drei- beziehungsweise Viergliedrigkeit des Schulsystems wegkommen und alle Kinder länger zusammen lernen lassen. Trotzdem ist Bildung alleine nicht die Lösung. Man muss auch andere Ressourcen anerkennen, die Mehrsprachigkeit etwa, die oft als doppelte Halbsprachigkeit gilt. Man muss die Jugendlichen in ihrem Kampf um Anerkennung unterstützen. Und nicht nur als Teil einer problematischen Gruppe sehen. INTERVIEW: MNZ

10.30 Uhr, Gemeindezentrum Bremen-Grohn, Grohner Markt 7