Am Ende fehlen die Worte

TOD Die Berliner Ärztin Petra Anwar stellte im Babylon Mitte ihr Buch über die Arbeit als Palliativmedizinerin vor

150 Besucher bei der Präsentation eines Buchs über das Sterben? An einem sonnigen Sonntag im dunklen Kinosaal des Babylon Mitte? Es liegt an Petra Anwar, der Palliativmedizinerin, die seit vielen Jahren Menschen hilft, die nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause in den Tod gehen, in den Krebstod meist. Bekannt wurde sie durch ihre Rolle in Andreas Dresens Film „Halt auf freier Strecke“, der von einem Familienvater handelt, der an einem Gehirntumor stirbt.

Nun hat die Ärztin mit Unterstützung des Autors John von Düffel ein Buch über ihre Arbeit geschrieben: Es sind zwölf „Geschichten vom Sterben“, die in ihrer Schlichtheit mindestens so beeindrucken wie Petra Anwar selbst, diese warmherzige, pragmatische und schöne Frau.

Warum Anwars Geschichten so berühren, wird gleich zu Anfang klar. Nein, sagt sie auf die Frage der Moderatorin, ob sie weniger Angst habe vorm Tod, das glaube sie nicht. Diese Angst lässt sich nicht mildern.

Petra Anwars Rezept ist maximales Sicheinlassen: Jeden Patienten gilt es in seiner ganzen Person zu begreifen, wie er gestrickt ist, wie er gelebt hat. Erst dann versteht man, wie er sterben will – und zu sterben in der Lage ist. Denn auch wenn heute rechtlich gesichert ist, dass Patienten zu Hause so medikamentiert werden dürfen, dass sie weitgehend schmerzfrei und in Ruhe sterben können, bleibt die Frage: Wie gehen die Kranken damit um?

Ringen um Normalität

Milan Peschel, Darsteller des Krebskranken in „Halt auf freier Strecke“, liest eine Geschichte über den seelischen Schmerz: Herr Helling hat ein Nierenleiden und ist an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt. Er kann schwer atmen und trägt überall Schläuche. Aber der liebenswerte Mann ringt „um jedes Stück Normalität“, legt Wert auf „tadellose Garderobe“ und redet lieber über Gott und die Welt als über die Krankheit.

Anwar schlägt eine Schmerzpumpe vor, die jenes Morphin freisetzt, das die Dialyse aus dem Körper wäscht. Aber Herr Helling will keine Pumpe, obwohl sie klein und leicht ist. Petra Anwar versteht: „Die Dialyse und der Sauerstoffschlauch bedeuten Leben, die Schmerzpumpe war ein Zeichen des absehbaren Endes.“

Als Peschel beim sanften Tod ankommt, den sich Herr Helling dann doch erkämpft, kann sich der Schauspieler kaum mehr halten. Auch Anwars Stimme ist brüchig, als sie bittet, nichts mehr sagen zu müssen. Wohl dem, der eine wie sie zur Unterstützung hat. SUSANNE MESSMER