berliner szenen Heilig’s Märktle 2

Vergiss Berlin

Das „Holy Shit Shopping“ im Café Moskau ist der Clubabend unter den Weihnachtsmärkten: In bewährter Location gibt es Geschenke auf zwei Floors. Damit niemand durcheinander kommt, ist am Einlass alles wie gewohnt: Schlange, Stempel, Gästeliste. Dass es Nachmittag ist, fällt kaum auf, dunkel ist es sowieso immer. Freund D. , mit dem ich mich zum Shoppen verabredet habe, trägt einen noch recht frischen Stempel auf dem Handrücken und Augenringe. Er erzählt vom Rio, wo zugekokste Frauen im kalten Licht zu Inzest-Liedern zuckten. Bevor er die Bar ansteuern kann, schiebe ich ihn hinein in den Basar.

Eine Freundin zieht nach Paris und da gilt es, ein Abschiedspräsent zu finden. Zum Glück sind Berlinsouvenirs immer noch sehr en vogue. Wir sehen den Palast der Republik als Schneidbrettchen und den ewigen Fernsehturm als Leuchtobjekt, Ohrring, Tapetenmuster und Badfliese. Müde stolpert D. neben mir durch Reihen voller Designkleidung und Babylätzchen. Beim Stand von Pale Music bleibt er wie angewurzelt stehen. Eine Schwarzhaarige bietet Platten mit ungemütlicher Cover-Optik feil: blutige Gesichter, fiese Schriftzüge. „Daddy, don’t touch me there“, liest D. und sieht aus, als würde er das Inzest-Gefühl der letzten Nacht erneut durchleben.

Schnell gehen wir in die Kantine, eine warme Suppe essen. Die meisten Besucher shoppen jetzt etwas panisch, der Samstagabend wartet. Unsere Rettung naht in Gestalt eines Tagebuchs. Es zeigt einen umgedrehten Eiffelturm und trägt die Inschrift „Vergiss Berlin“. Noch eine Fußballtasche dazu und wir sind erlöst. „Daddy, don’t!“, kreischt D. albern und zuckt. Mir fällt ein, dass ich noch kein Geschenk für meinen Vater habe. NINA APIN