„Du musst in den Zwei-wei-ten schal-tal-ten“

Dass Jugendliche beim Führerschein ab 17 zusammen mit ihren Eltern Auto fahren müssen, hat einen Nebeneffekt: Hinter dem Steuer kommt es zur Familienzusammenführung. Und gemeinsam verbrachte Zeit ist heute oft knapp

Es ist kein Spaß, mit Neulingen Auto zu fahren. Doch meine Mutter hielt sich damals, Anfang der 90er, erstaunlich gut. Bis ich (18 Jahre) unseren Passat (107 PS) in unsere Straße steuern wollte. Ich bog ab, langsam natürlich, und schaltete. Nicht einen Gang runter, sondern hoch. In den vierten. Der Passat bockte wie ein Maultier. Ich drückte das Gaspedal durch, dann sprangen wir drei in langen Sätzen um die Kurve. „Du-u mu-u-sst in den Zwei-wei-ten schal-tal-ten“, presste meine Mutter hervor. Alleine wäre ich wohl bis in die Garage gesprungen – durchs geschlossene Tor.

Die Idee, schon 17-Jährigen das Fahren zu erlauben, wenn ein Erwachsener mitfährt, ist nicht neu. Und sie hat sich in anderen Bundesländern bewährt. Niedersachsen startete schon im April 2004 einen Modellversuch, Länder wie Hamburg, Bayern oder Nordrhein-Westfalen zogen nach. „Das Fahrverhalten der Anfänger ist deutlich besser, die Unfallzahlen nehmen ab“, sagt Gert Fröhling, Vorsitzender des niedersächsischen Fahrlehrerverbandes. 20.000 haben sich im Norden bisher angemeldet, 5.000 Jugendliche fahren gerade in Begleitung, über 4.500 haben die Ausbildung hinter sich und den Führerschein in der Tasche.

Fröhling verweist auf einen psychologischen Effekt, den mehrere Eltern bestätigten: „Vater und Tochter sitzen im Auto nebeneinander, verbringen also Zeit miteinander – und die Tochter empfindet den Rat des Vaters plötzlich als Hilfe.“ Ein solches Gemeinschaftserlebnis ist in vielen Familien selten geworden, weil Eltern arbeiten, Jugendliche von Termin zu Termin hetzen und im Übrigen auf Ratschläge „der Alten“ eher allergisch reagieren.

Doch im Auto nehmen sie sonst nervende Altersweisheit gerne an, sofern sie „fein dosiert und mit Fingerspitzengefühl“ rübergebracht wird, rät Fröhling. Dabei geht es nicht um „Achtung, gleich wird Rot!“-Bevormundung, schließlich haben die Neulinge die komplette Fahrausbildung absolviert. „Wenn im Dezember das Gras neben der Straße verdächtig glitzert, zieht ein erfahrener Fahrer die Schlussfolgerung: Es könnte glatt sein“, nennt der Fahrlehrer ein Beispiel. Auch die Begleitperson lernt beim gemeinsamen Fahren. Denn die Fahranfänger haben die Straßenverkehrsordnung noch genau im Kopf. Wer dagegen 25 Jahre keine Fahrschule mehr von innen gesehen hat, schaltet die Nebelschlussleuchte mehr aus Gefühl ein oder wenn alle es tun.

Die Familienzusammenführung hinter der Windschutzscheibe wird von Politikern, Fahrlehrern, Polizisten und Verkehrspsychologen gelobt. Über eine Tatsache darf dies nicht hinwegtäuschen: Nur eine bestimmte Klientel kann den Kindern den frühen Führerschein bezahlen, verfügt über mehrere Autos und den Willen, als Begleiter zu assistieren. „Es sind intakte Familien mit dem entsprechenden Geld, die sich dafür entscheiden“, sagt Rainer Paetsch, Hauptkommissar bei der Berliner Polizei. Auch Fahrlehrer Fröhling macht als Zielgruppe eher „begüterte Haushalte“ aus, „in denen Mütter oder Väter im Zweitwagen zum Einkaufen fahren“. ULRICH SCHULTE