Kaum geschlüpft, schon im Schredder

TIERPRODUKTION Ein Bauer aus Uelzen will verhindern, dass die Hähne von Legehennen getötet werden, sobald sie sich aus dem Ei gepellt haben. Sein Ziel: Balance beim Verzehr von Tieren und tierischen Erzeugnissen

Die niedersächsische Landwirtschaft beschäftigt 150.000 Menschen. Die Bedeutung der Tiermast ist so groß wie in keinem anderen Bundesland.

■ Geflügel: 790.000 Tonnen Geflügelfleisch hat das Land 2011 erzeugt. Das sind 56 Prozent der deutschen Produktion.

■ Schweine: Mehr als 18 Millionen sind 2011 geschlachtet worden, vier Fünftel davon in der Region Weser-Ems, fast die Hälfte im Landkreis Clopppenburg.

■ Rinder: 580.000 gingen 2011 in die Knie, zwei Fünftel davon in der Region Weser-Ems.

VON GERNOT KNÖDLER

Hahn im Legehennenkorb zu sein, ist ein kurzlebiges Glück: Kaum geschlüpft, wird er vergast oder geschreddert. 100.000 seiner Artgenossen erleiden in Deutschland täglich dieses Schicksal – eine Tatsache, die der Ökobauer Carsten Bauck aus Süstedt bei Uelzen nicht länger hinnehmen will. Zusammen mit den Naturkostgroßhändlern Nord, Elkershausen und Erfurt hat er die „Bruderhahn-Initiative Deutschland“ (BID) ins Leben gerufen. Sie verkaufen ihre Eier etwas teurer und ermöglichen es den Hähnchen, auszuwachsen.

„Kein Tier soll nutzlos sterben“, findet Bauck. Doch der Bauer, der seinen Hof nach den Regeln des Demeter-Verbandes betreibt, steckt in einer Zwickmühle wie seine konventionell wirtschaftenden Kollegen: Hühner, die viele Eier legen, setzen wenig Fleisch an, Hühner, die viel Fleisch ansetzen, legen wenige Eier. Um seine Eier nicht zu teuer zu machen, muss auch Bauck also Legehennen halten, die viele Eier legen. Doch deren Hähne sind so mager wie die Hennen. Sie zu mästen, lohnt sich normalerweise nicht.

Mit der Bruderhahn-Initiative versuchen Bauck und seine Partner die Konsumenten in die Pflicht zu nehmen. Die BID-Eier kosten vier Cent mehr. Einer davon hilft der Initiative, ihre Kosten zu decken, drei Cent fließen in die Mast der Hähnchen, die, weil sie nur wenig und festes Fleisch haben, im normalen Handel kaum abzusetzen sind. Aber Bauck hat für sie einen Abnehmer gefunden. „Unsere Hähne leben fünf Monate, dann werden sie zu Babykost verarbeitet“, berichtet er.

Um dem Problem der „nutzlosen“ Küken beizukommen, arbeiten die Züchter an Methoden zur Geschlechtsbestimmung im Ei. Männliche Küken würden dann gar nicht erst ausgebrütet. „Das ist machbar, aber im Moment nur im labortechnischen Maßstab“, sagt Günter Zengerling vom Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft.

Eine andere Lösung ist das Zwei-Nutzungstier: ein Huhn, das ordentlich Eier legt und sich einigermaßen gut mästen lässt. Die Zuchtfirma Lohmann in Cuxhaven hat der taz bestätigt, sie werde Ende des Jahres ein solches „Superhuhn“ auf den Markt bringen.

Das würde Bauck und seinen Mitstreitern helfen, eine ausbalancierte Landwirtschaft zu betreiben, bei der das Leben geachtet und der organische Kreislauf geschlossen wird. „250 Eier bedeuten ein Suppenhuhn und ein Bruderhuhn“, sagt Bauck. Wer also Eier isst, sei es auf dem Frühstückstisch oder in der Nudel, sollte auch ab und zu mal ein Huhn verzehren. Das Gleiche gelte für die Milchtrinker und Käse-Esser mit Blick auf Rinder und Ziegen. Vegetarismus ist aus dieser Sicht ein schlechter Kompromiss aus Fleischesserei und Veganismus.

Der Bruderhahn-Initiative geht es vor allem darum, die Verbraucher aufzurütteln. „Wir stoßen die Menschen darauf, dass sie einem Irrglauben aufsitzen“, sagt Bauck. Es sei nicht damit getan, Öko-Eier zu kaufen, vielmehr müssten die Menschen den Gesamtzusammenhang im Blick behalten – und das bedeutet für ihn letztlich Beschränkung: weniger Käse, weniger Eier, einen Sonntagsbraten statt täglich ein Schnitzel.

Die Kundschaft reagiere überraschend positiv, sagt Bauck. „Wir haben eine Riesenwelle der Sympathie.“