„Wie bei Christo“

UMWIDMUNG „Bommel“-Fischer erklärt eine Baustelle am Herdentor zu Kunst im öffentlichen Raum

■ 52, freischaffender Künstler und Autor, Diplom-Chemiker. Lebt in Pusdorf.

taz: Herr Fischer, Ihre Kunst ist Müll.

Joachim Fischer: So würde ich es nicht unterschreiben. Ich beschäftige mich in meiner Kunst mit Müll, aber benutze eher den Begriff „Fundstücke“. Bei Müll entstehen negative Assoziationen, dass er stinkt – das tut er natürlich nicht mehr, wenn ich ihn verarbeite. Mit Baustellband mache ich vorübergehende Installationen.

Warum sind Sie nicht Baggerfahrer geworden?

Als ich vor vielen, vielen Jahren Abi gemacht habe, stand zur Debatte Bankkaufmann oder Chemiker zu werden, meine Faible für Baustellen hatte ich noch nicht entdeckt.

Was macht die Baustelle am Herdentorsteinweg zu „Kunst“?

Ein Haus wurde abgerissen, das benachbarte Haus steht frei. Um es zu schützen, ist es mit einer riesigen Plane verhüllt, das sieht aus wie bei Christo. Für mich ist ohnehin alles Kunst, was einem kreativen Akt entspringt. Und damit auch jede Baustelle.

Eine beliebige Definition.

Sie schließt alles ein, was wir Menschen machen. Wir sind pausenlos kreativ. Und eine Baustelle stellt für mich das Symbol für die Gesellschaft dar. Sie funktioniert nur, wenn jeder seinen Job macht. Dazu sind wir aufgerufen: Wir müssen aktiver werden, alle können etwas ausrichten. Bei etwas Banalem wie dem Abwasch schaffen wir etwas Neues.

Reduzieren Sie Kunstwerke nicht auf ihr reines Material? Michelangelos David wäre damit nur ein Marmor-Block …

Es ist ein naturalistisch geformter Marmor-Block. Nüchtern betrachtet gibt es keinen Unterschied, ob auf einer Baustelle ein Steinstapel liegt oder auf der Documenta. Beides beinhaltet, dass wir als Betrachter diesen Stapel interpretieren.  INTERVIEW: JPB

12 Uhr, Herdentorsteinweg, Ecke Bahnhofstraße