Viele ethische Ratschläge, wenig Gesetz

Inklusive der Bundeskanzlerin findet keiner den neuen Job von Gerhard Schröder gut. Gesetzliche Anstandsregeln gegen Korruption gibt es kaum. Auch Bundestagschef Lammert kritisiert – und lockert zugleich die Verhaltensregeln für Abgeordnete

VON CHRISTIAN FÜLLER

Beim neuen Regierungspartner der SPD meldete sich jemand aus der zweiten Reihe. Der durfte dann umso brutaler auf den Gerade-nicht-mehr-Kanzler losgehen. Gerhard Schröder habe „Schweigegeld für einen Völkermord“ bekommen, sagte der CSU-Abgeordnete des Europaparlaments, Bernd Posselt.

Der Job, den Schröder bei der deutsch-russischen Pipelinegesellschaft einnehmen soll, „ist Schweigegeld für den Völkermord in Tschetschenien und die schrittweise Strangulierung von Freiheitsrechten in Russland“.

Das ist einerseits traditionelle CSU-Bissigkeit. Andererseits beschreibt es das ethische und publizistische Schlammloch, in das sich der Exkanzler begeben hat. Schröder soll den Vorsitz des Aufsichtsrats im nordeuropäischen Gaspipeline-Projekt übernehmen. Die Verlegung einer 1.200 Kilometer langen Erdgasleitung von Babajewo in Russland bis Greifswald hatte er zuvor als Kanzler mit dem russischen Präsident Wladimir Putin ausgehandelt. Dass er das gleiche Tätigkeitsfeld jetzt auch als Privatier beackert, bringt die halbe Republik in Wallung – und dass er dafür bis zu einer Million Euro pro Jahr einstreichen soll.

Der ehemalige Sprecher Schröders hatte gestern die delikate Pflicht, den Exkanzler zu ermahnen. Schröders Nachfolgerin Angela Merkel, so sagte es Regierungssprecher Thomas Steg gestern, habe „ein gewisses Verständnis für die aufgeworfenen Fragen in der Diskussion“ um Schröders Posten im Pipeline-Projekt. Dies sei jedoch nicht als „Missbilligung“ zu verstehen, beeilte sich Steg zwar zu betonen. Eine Formel aber, die darauf schließen lässt, dass noch viel Musik im fliegenden Jobwechsel von Gerhard Schröder ist.

Einen klaren Interessenzusammenhang zwischen Schröders früherer politischer und jetziger wirtschaftlicher Tätigkeit im Pipelinedeal sieht Jochen Bäumel, Vorstandsmitglied der deutschen Sektion von Transparency International. „Man kann nicht so tun“, sagte Bäumel der taz, „als wäre das ein Kavaliersdelikt. Es sind identische Tätigkeitsbereiche, in denen Schröder vorher und nachher aktiv war – das darf nicht sein.“

Besonders scharf nahm Bundestagspräsident Norbert Lammert den abgewählten Bundeskanzler ran. Es sei unvorstellbar, „dass ein deutscher Regierungschef so schnell und so instinktlos mit einem nahe liegenden Anschein umgeht, dass hier ein Zusammenhang bestehen könnte zwischen politischem Engagement und eigenen wirtschaftlichen Interessen“, sagte Lammert. Das ist bedeutsam. Denn Lammert ist als Parlamentschef oberster Tugendwächter deutscher Abgeordneter. Er legt die neuen, gerade verschärften Verhaltensmaßregeln für Nebentätigkeiten aus. Lammert prüft, ob die Volksvertreter korrekte Angaben machen.

Zugleich hat Lammerts Anklage an Schröder einen hohlen Klang. Denn der Bundestagspräsident sorgt gerade dafür, dass Parlamentarier, die als Anwälte oder Unternehmer freiberuflich tätig sind, es mit ihren Verdienstauskünften nicht so genau nehmen müssen: „Unangemessene Anforderungen“ müssten erneut beraten werden, kommentierte er das eigentlich schon fertige Gesetz.

Ähnlich hält es Lammert nun auch im Falle Schröder: Der Übergang von Politikern aus öffentlichen Ämtern in Wirtschaftsprojekte solle nicht per Gesetz geregelt werden, sondern per Anstand: Es gebe Dinge, die gehörten sich eben nicht.

Das ist die Perspektive für Gerhard Schröders Jobwechsel. Schon wird in der Regierung an einem Verhaltenskodex gebastelt, an den sich ein Kanzler nach Aufgabe seines Amts halten sollte – freiwillig, versteht sich.