Die Demonstranten schliefen noch

BERLINER MAUER Allen Protesten zum Trotz: Investor lässt im Morgengrauen Teile der East Side Gallery entfernen

Vorschläge fehlen, wie das Grundstück ohne Mauerlücke erschlossen werden kann

AUS BERLIN KONRAD LITSCHKO

Und dann fiel sie doch: Am frühen Mittwochmorgen, kurz nach fünf Uhr, hob der Kran vier Segmente aus der East Side Gallery, hinterließ eine sechs Meter lange Lücke. Damit ist die Debatte um den Berliner Mauerstreifen wieder aufgeflammt.

Bereits Anfang März sollten die Stücke der von Künstlern bemalten Mauergalerie versetzt werden – Hunderte Protestierer verhinderten dies jedoch. Ein Investor, Maik Uwe Hinkel, will auf dem Spreeufer-Streifen hinter der Mauer einen Apartmentturm bauen. Zudem plant der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg dort eine Brücke.

Mit dem frühen Arbeitsbeginn überlistete der Investor Abrissgegner, die von der Aktion völlig überrascht wurden. Die 250 Polizisten, die zum Schutz des Krans und der Arbeiter aufgeboten wurden, hatten nichts zu tun. Erst als die Segmente schon abgetragen waren, sammelten sich einige Empörte. „Das ist beschämend und respektlos“, schimpfte der Künstler Kani Alavi, der die Mauer 1990 mitbemalt hatte. „Berlin kann nicht mit seiner Geschichte umgehen.“

Der „Mauerfall“ vom Mittwoch platzt mitten in Kompromissverhandlungen zwischen Investor Hinkel, dem Senat und dem Bezirk. Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatte die Gespräche zur Chefsache erklärt und eine Zufahrt des Grundstücks über bestehende Maueröffnungen angeregt. Entsprechend verärgert zeigte sich nun Wowereits Sprecher: Offenbar habe Hinkel Fakten schaffen wollen. Das zeuge nicht von Kompromissbereitschaft.

Allerdings hatte der Senat bisher einen Grundstückstausch abgelehnt, mit dem wiederum der Investor liebäugelte. Hinkel klagte denn auch, dass ihm bis heute kein Ersatzgrundstück angeboten wurde. Auch habe der Bezirk keine neuen Vorschläge unterbreitet, wie sein Grundstück ohne Mauerlücke für die Bauarbeiten erschlossen werden könne. Deshalb, so Hinkel, habe er aus „rechtlichen und Kostengründen“ nicht länger warten können. Der Investor sprach aber nur von einer provisorischen Bauzufahrt. Die Mauerteile würden nach den Bauarbeiten wieder eingefügt.

Noch am Mittwochnachmittag wollten sich Investor, Senat und Bezirk erneut zusammensetzen. Die CDU, Koalitionspartner der SPD, forderte, der Regierende Bürgermeister müsse sich in den Verhandlungen nun „besonders engagieren“.

Die Protestierer mögen daran kaum mehr glauben. „Wowereit hat sein Versprechen gebrochen und schaut nur zu“, klagte Robert Muschinski am Morgen vor der Mauer. Muschinski zählt zu den Anwohnern, die schon 2008 einen Bürgerentscheid zum Spreeufer mitorganisierten. Die Ufer-Verteidiger wollen nun am Donnerstagnachmittag vor Wowereits Amtssitz, dem Roten Rathaus, demonstrieren. Muschinski: Der Senat müsse endlich den Willen der Mehrheit achten und ein Ersatzgrundstück bereitstellen.