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Kolumne Darum130 Minuten Höchststrafe

Maik Söhler
Kolumne
von Maik Söhler

Wer Kinder bestrafen will, bestraft am Ende nur sich selbst. Allein die deutsche Hochkultur hält passende Sanktionen für jeden Zweck parat.

Ach, Siegfried, ach: Bist schon eine Strafe für die Menschheit. Bild: dpa

Z u den größten Absurditäten im Elterndasein gehört, dass man die, die man liebt, gelegentlich zu bestrafen hat. Alles ist tausendmal gesagt, jede Ermahnung ist zur Redundanz geworden, der teure Cello-Bogen wird trotzdem zum Fechten genommen oder ein Zimmer so zugemüllt, dass selbst Joghurtbecher davonlaufen, weil sie Platzangst bekommen. Da folgt dann eine Strafe.

„Strafe ist Wiederanwendung der Tat auf den Täter“, schreibt Hegel in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts. Sollen wir den Sohn jetzt mit dem Cello-Bogen niederfechten? Die Tochter zumüllen? Das bringt nichts. Schon Marx strafte Hegel sinngemäß mit dem Satz, dass Strafen den Verbrecher nicht nur sanktionieren, sondern ihn manchmal erst hervorbringen.

Aus dem modernen Strafrecht wissen wir, dass Strafen in einem klar erkennbaren Zusammenhang zur Straftat stehen sollen, sie müssen angemessen sein und dürfen nicht zu spät ausgesprochen werden. Es macht also keinen Sinn, einem Kind, das geklaut hat, sechs Monate später das Fernsehen für immer zu verbieten.

Mit unseren Strafen sind wir oft gescheitert. Ein überdrehtes Kind früher ins Bett zu schicken, hat nur zur Folge, dass es eben dort weiter überdreht ist. Dann fliegen Bücher und Kuscheltiere durch die Gegend. Wurde mehr gedaddelt als abgesprochen, wird die „Bildschirmzeit“ gekürzt. Das Kind schleicht nun mürrisch durch die Wohnung, weiß nichts mit sich anzufangen und hampelt Dinge an, die bis dahin als unbehampelbar galten. Kurz: Gestraft ist man am Ende nur selbst.

Wagners Siegfriedsauerkraut

Das ist überflüssig. Es ist ja eh überall Strafe. Man wacht morgens in Deutschland auf. Im Radio spielen sie Helene Fischer. Im TV läuft eine Nonnen-Serie. Im Internet teilt jemand einen deutschen Huffington-Post-Artikel. Strafe. Strafe. Strafe.

Wir verzichten nun auf Strafen und überreden die Kinder zu einem kleinen Ausflug. Es ist kalt und grau draußen. Ein bisschen Kultur, was Buntes im Warmen. In einem kleinen Berliner Musiktheater läuft „Der Ring in 100 Minuten“, die Kinderkurzfassung von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Wir sitzen noch nicht auf den Plätzen, schon geht das Genörgel los. Im Programmheft steht: „70 Minuten – Pause – 60 Minuten“. Also 130 Minuten Wagner statt, wie angekündigt, 100, die Sprechzeiten des Moderatoren werden nicht mitgezählt.

„Kann der nicht mal rechnen?“, schallt es zweistimmig. Das Stück hat noch nicht begonnen, da wird ein Mitschüler von den Kindern gesichtet: „Hat man dich auch hierher gezwungen?“ Soviel vorab zum deutschen Determinismus Wagners, von dem ein Neunjähriger und eine Zwölfjährige nicht viel wissen können, der sich dann aber auf der Bühne zeigt.

Wagner ist Wagner. Siegfried ist Siegfried. Sauerkraut ist Sauerkraut. Man kann Schlagsahne drauftun, Zucker, Erdbeeren und bunte Streusel. Es bleibt trotzdem Wagners Siegfriedsauerkraut. Wucht weicht auch dann nicht, wenn Komik sie zu brechen versucht. Nicht die feinste Geige wird dem Nibelungenstoff das Antiemanzipatorische nehmen. Über zwei Stunden verdrehen die Kinder die Augen oder versuchen demonstrativ zu schlafen. Ohne es zu planen, haben wir eine erzieherische Höchststrafe gefunden.

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Maik Söhler
Journalist
Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.
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7 Kommentare

 / 
  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Schon Marx strafte Hegel sinngemäß mit dem Satz, dass Strafen den Verbrecher nicht nur sanktionieren, sondern ihn manchmal erst hervorbringen."

     

    Genau, denn die URSACHE aller Probleme / Überproduktion von KOMMUNIKATIONSMÜLL ist und bleibt der nun "freiheitliche" WETTBEWERB um ... - Auch wenn immernoch nur die Verlierer dieses Spiels bestraft werden, Verbrecher sind wir alle!

  • ff ok - einer geht noch;)

     

    Schläge? - Auhauerha -

    De Ohl - solchem Tun eh abhold - versuchte es einmal bei meinem älteren Bruder -

    Dafür hat man den schließlich -

    Der in schallendes Gelächter ausbrach - Das war´s.

    (Unangenehm aber die versierte Hockeyspielerin der 20er -

    bei Liedern wie

    "Mein Mann der steht im Hemd. . " -

    die schlacksig-ausgerutsche Hand tat schon weh).

     

    Böckchen auf die Weide/Schmücke dein Heim - vulgo Stubenarrest;

    Das ja – aber, beide sehr geübt darin -

    alleine zu spielen - So what!

    "Nach knapp ner halben Stunde -

    hörte man dich fröhlich vor sich hinsingen. . "

    (diese Unart ist mir geblieben);

     

    (Mein Bruder zu minus 4 Jahre -?

    Verbotene Bollerwagenmitfahrt zum Obstholen -

    DDR 1949 - also nich ohne!

    Ohne Essen ins Bett? -

    Bett wieso? -

    Du mußtest doch immer ins Bett -

    hä? wieso datt denn -

    Weil du son Teufel warst;-)

    ="Arthur ärgert alle Leute" -

    Auch geblieben;-)

     

    Soweit erst mal*~*

    Kurz - Grau mein Freund ist alle Theorie -

    Bei zwei Runden Kids -

    war/ist mir das alles dankbar eine -

    Gut handhabbare Bojensammlung.

    • @Lowandorder:

      en passant

       

      ok - mailfeedback der Selbsteltern -

       

      1. Eisengriff ~> alle Flünken fallen lassen - weil - scheißgebaut…

      (Mutter/Bruder/Rudern - lassen grüßen;)

      2. Rollgriff - bevorzugt durch

      Katzenpfotentüten - schwere Sauerei!

      ~> bis heute nich verziehen;

      Zu recht! - Unverzeihlich!

  • Darum - ok mal meine Bojenwerfer 03/04

    (Ausschnitt;-))

     

    ". .Es macht also keinen Sinn, einem Kind, das geklaut hat, sechs Monate später das Fernsehen für immer zu verbieten.. ."

    Aber man kann dennoch

    mit 11 den Dackel verhauen,

    Der einen mit 3 "gebissen" hat;-))

     

    Mal konkret -

    Wir durften an alles dran.

    Klauen - kam nicht vor -

    Hieß/heißt Mopsen, Weggefunden;

    (Selbst die mittels Bedienens an Vadderns Wechselgeldkatze -

    (Machs Blanck-2er fielen nicht auf;)

    Peu a peu gebraucht "erworbene" Fotoausrüstung -

    Wurde nicht kommentiert

    (&Taschengeld war unbekannt!));

    Von wegschnabulierter Bäckerware -

    Apfelringen&echten Schockoladenstreußeln – hm - ganz zu schweigen;

    & "Hei kann all brucken" - Stimmt.

     

    Dafür ließ die alte Kripo-Fürsorgerin

    StehendeMesser/Gewehre/

    Schreckschußpistolen und ähnliche Dreibastigkeiten verschwinden -

    "Wo ihr immer eure Sachen Rumplundert" -

    (in der Sozialwohnung hatte man noch eine gewisse Chance;)

    Schwarzpulver - Motorräder in der Wohnung reparieren - Auskochen von Fischreiherköpfen zum Präparieren - ff

    No problem -

    (Wenn die Garage doch noch nicht fertig ist;)

     

    Lügen - nö -

    Sohlen Strechen - etc

    (mit dem vielleicht gar nicht so merkwürdigen Effekt -

    Wenns um was ging -

    Wußten die Alten: Secht is Secht -

    Was wiederum meine Pauker schwer verknusen konnten).

     

    Gefälschtes Nummernschild an der Max ~> Kadi -

    ("Wie isser denn so? -

    Naja - eigentlich ganz ordentlich, doch")

    = 8 Std Gemeinnützige

    "Aber wenn da noch mal was . .

    Dann regnets dir aber in die Bude"-

    De Ohl - "Denn Vadder harr ok

    Paulke op uns Penne hat")

    (~>Vorbestraft - feiner Schocker

    bei Kollegen;-))

     

    ff schaugn mer mal

  • Ach Herrje, Maik, ich will Dir ja nicht zu nahe treten, aber findest Du nicht auch dass Deine elterlichen Kompetenzen ...ähm ... stark ausbaufähig sind?

    Strafe, Strafe, Strafe, was anderes fällt Dir nicht ein?

    Damit reihst Du Dich zwar im derzeitigen Gesellschaftskanon des lustvollen Verbietens ein, aber zumindest in der eigenen Familie hast Du schon begreifen müssen, dass Strafen und Verbote keinen Erfolg bringen.

    Vielleicht, und hier kann ich ja nur spekulieren weil ich nie das "Vergnügen" Deiner Erziehungsversuche hatte, vielleicht sind Deine Ermahnungen tatsächlich redundant weil oberlehrerhaft vorgetragen und gebetsmühlenartig wiederholt..

    Überhaupt, der Text lässt Deinen Hang zur schwarzen Pädagogik erahnen. Da werden Kinder zu einem "kleinen Ausflug" (Nettozeit über 2 Stunden in einem muffigen Theater) "überredet" (mit viel redundantem Palaver gezwungen) und dann wunderst Du Dich dass die lieben Kleinen ihren gut entwickelten Verstand einsetzen um Dir Falschinformationen nachzuweisen und das Beste aus ihrer Lage zu machen. Immerhin haben Sie nicht den Gefangenenchor oder die Moorsoldaten angestimmt was zugegebenermaßen irgendwie passend gewesen wäre.

    Sag' mal, Maik, welche Reaktionen rufen Deine dadaistischen Ausfälle (Schlagsahne auf Siegfriedsauerkraut) bei Deinen Kindern hervor? Ach, klar, da steht's ja, sie verdrehen die Augen und versuchen sich von diesem Ort wegzuschämen.

    Vielleicht, Maik, solltest Du etwas empathischer sein und Dich ab und an fragen was Deine Kinder so möchten und nicht was sie gefälligst zu wollen haben. Dann klappt's vielleicht auch mit der Hochkultur.

  • Die Charakterbildung per Schmerz/unlust/Lust/Begierden/Kognitionsfähigkeiten

    wird in linken Kreise eher weit über "behaviourustisxche" Affendressur ja oder wieviel?

    praktiziert und diskutiert. Wie die normsaliierende Affendressur de allüberall Sozilisiation mit dem spärlichen echten autonomen Räumenm ausräumen??

     

    Ja, das sind aber Großmeisterpädogig und Selbsterziehungs/Lebenskunst/Decodierungs/Deterrotrialierungsvariantewn. Wenn es da 10 Prlatieker auf ed wElt fgibt, ist das hoch gegriffen. Selbst die Geheim(zuhaltenden) Varianten stimme da nicht immer...

    • @Dr. rer. nat. Harald Wenk:

      Die Sanktionen gegen Russland sind "Strafe", die Hartz IV Sanktionen auch!!

       

      Der Staat "straft sehr viel. Es ist sein Haupt-macht-betätigungsfeld!!

       

      DEsajöb ahben wir auch ei Großchemiepharmazie statt Psychologie ode Yoga/Tantra. Auch zur ""Erziehung" . na swas!!