„Die Macht! Die Macht!“

Der russische Schriftsteller Wladimir Kaminer ahnt, warum Gerhard Schröder zum Pipeline-Prinzen wird: „Er kann Unmengen von Gas durch die Welt bewegen“ – und nebenbei Russland zivilisieren

INTERVIEW ARNO FRANK

taz: Herr Kaminer, können Sie die Empörung um Schröders neuen Posten in einem staatlichen russischen Unternehmen verstehen?

Wladimir Kaminer: Nein! Ich sehe überhaupt nur drei Posten, die den des Bundeskanzlers noch überbieten können.

Und die wären?

Erstens als Papst, obwohl Schröder das in diesem Leben wohl nicht mehr schaffen dürfte. Zweitens als Fernsehmoderator, wobei er da den Volker Panzer vom ZDF ersetzen könnte, ohne dass es jemandem auffallen würde. Und drittens ein Aufsichtsrat bei Gazprom!

Was hat Schröder gereizt?

Na, bei Gazprom hat er natürlich unglaubliche Möglichkeiten! Sicher bekommt er ein gutes Gehalt, aber darauf kommt es ihm bestimmt nicht an. Es geht um die Macht!

Macht?

Ja, die Macht! Die Macht! Er kann Unmengen von Gas durch die Welt bewegen! Dabei geht es nicht um irgendeinen Furz, sondern wirklich um große Mengen. Wir reden von Megatonnen.

Schröder als Energiemulti?

Der wird sogar zu einer eigenen Energie-Einheit, unser Exkanzler.

Russische Expräsidenten pflegen sich zur Ruhe zu setzen.

Jelzin war der erste, ja. Gorbatschow ist knapp dem Tod entgangen. Erst Putin und seine Leute haben einen neuen Weg gefunden und bewiesen: Es gibt ein Leben nach der Präsidentschaft.

Ist das nicht als zivilisatorischer Fortschritt zu werten?

Auf jeden Fall ist das ein historischer Fortschritt, der aber ohne mafiose Strukturen und Rücksprache mit wichtigen Leuten nicht möglich wäre. Es müssen quasi alle mit eingeweiht sein und zusammenhalten, damit dieser zivilisatorische Fortschritt auch weitergeht. Insofern freue ich mich, dass der Exbundeskanzler da mithilft. Damit eröffnet er auch eine Perspektive für zukünftige Exbundeskanzler.

Falls Putin jemals lebend aus dem Amt scheiden sollte …

… ab 2008 wird er ganz sicher zurücktreten!

wäre es da nicht fair, ihm ein Amt in der Bundesrepublik anzubieten?

Tja, aber welches Amt könnte das sein? Es gibt in Deutschland leider keine Jobs. Bei dieser Arbeitslosenquote sollte sich das Land doch freuen, wenn jemand im Ausland einen hoch dotierten Posten erhält. Nein, Putin ist gut versorgt, um den muss man sich keine Gedanken machen.

Die russische Zeitung Komersant hat süffisant kommentiert, nun setze sich die „russische Personalpolitik auch im Westen durch“.

Das ist für mich ein Zeichen der Globalisierung: Die Macht der Wirtschaft steigt, die der Politik sinkt. Bald werden wir nicht mehr von Merkel oder Müntefering, sondern von Nike und Gazprom regiert.

Sind denn Seilschaften, deren Fäden alle im Kreml zusammenlaufen, nicht ein Überbleibsel aus Sowjetzeiten?

Nein, das würde ich nicht so sehen. Das, was Putin mit seinen Offizieren macht, ist wirklich neu: Es geht um kollektive Arbeit, nicht mehr um Persönlichkeitskulte – deshalb glaube ich auch, dass er 2008 zurücktreten wird. Es wird dann einen neuen Oberst oder Major geben, der, genauso unbekannt wie früher Putin, aus den Reihen des KGB hervorgehen wird. Es kommt nicht mehr darauf an, wie der wichtigste Politiker mit Nachnamen heißt. Das war früher anders. Hier werden tatsächlich neue politische Szenarien durchgespielt.

Das kann von Vorteil sein.

Für mich wäre das nicht von Vorteil. Die Macht bleibt immer auf einen einzigen Punkt konzentriert, wo sie von Politikern verwaltet wird, die man nicht mehr unterscheiden kann.

In Moskau?

Nein, überall. Erst mein sechsjähriger Sohn hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass etwas mit dem Bundeskanzler nicht stimmt.

Wie das?

Er sagte: „Pass mal auf, Papa: Der alte Kanzler war ein Junge, der neue ist ein Mädchen.“