Die Parteikader kämpfen auf Liste 730

Die Wahl im Irak hat schon begonnen: bei den Soldaten. In Kurdistan tritt erneut der Block der „Kurdistan-Allianz“ an. Doch er hat islamistische Konkurrenz bekommen. Und manche Bürger sind schon wahlmüde

ERBIL taz ■ Osman Ramazan hat bereits gewählt. Der 45-jährige Colonel ist Peschmerga, ein bewaffneter Kämpfer aus dem kurdischen Widerstand gegen Saddam Hussein, und gehört damit zum Kreis der Soldaten, die bereits am Montag ihre Stimme abgeben konnten. Wenn am Donnerstag im ganzen Land gewählt wird, gehört er zu denjenigen, die mögliche Anschläge verhindern sollen. Vor der Grundschule in Kesnezan im Osten der kurdischen Hauptstadt Erbil sind schon am Morgen hunderte Peschmerga angetreten, um ihre Stimme abzugeben. In Reih und Glied stehen sie auf dem staubigen Platz vor der Schule, ihre alten Uniformen aus Pluderhosen und Westen haben sie längst gegen die grünen Tarnuniformen der irakischen Armee ausgetauscht, ihre Offiziere tragen die sandfarbenen Uniformen ihrer US-Verbündeten.

Er habe selbstverständlich die Liste 730 gewählt, sagt Osman. Das ist die Nummer der Kurdistan-Allianz aus den beiden großen kurdischen Parteien, der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) sowie sechs kleinerer Parteien. Wie alle hier Versammelten ist Ramazan KDP-Mitglied, sein halbes Leben hat er gegen das Regime von Saddam Hussein gekämpft, aber auch gegen ihre jetzigen kurdischen Mitverbündeten. „Mit unserer Stimme ehren wir das Andenken der Märtyrer und unserer Liebsten“, sagt Ramazan. Beim Giftgaseinsatz in Halabdscha 1988 hat er seine Mutter und vier weitere nahe Verwandte verloren. „Ihr Tod war nicht umsonst“, sagt Ramazan. „Denn mit dieser Wahl machen wir einen weiteren Schritt in Richtung Demokratie.“ Davon ist auch Khalid Mahmud Ali überzeugt, der aus der Gegend von Kirkuk stammt, von wo seine Familie vor über 20 Jahren vertrieben wurde. Dass er diesen Tag erleben dürfe, mache die Entbehrungen der Vergangenheit vergessen, sagt der General.

Die Stimmen der rund 120.000 Peschmerga, die bereits am Montag gewählt haben, sind der Kurdistan-Allianz sicher. Doch ansonsten tun sich die beiden Elefanten der kurdischen Politik schwer, ihre Wähler zu mobilisieren. Ihnen ist Konkurrenz aus den eigenen Reihen entstanden. Die gemäßigte Islamische Vereinigung Kurdistans (Yekgirtui Islami Kurdistan) tritt anders als vor elf Monaten mit einer eigenen Liste an. KDP-Anhänger haben aus Wut über den Alleingang in mehreren Städten die Parteibüros der Islamisten überfallen, 4 Personen wurden getötet und 17 verletzt. Es war ein weiterer Tiefpunkt im von Bombenterror und Morden überschatteten Wahlkampf.

„Meine Stimme kriegt keiner“, sagt Bayan Abdulla. Die 25-Jährige ist enttäuscht über die kurdischen Politiker, die Islamisten sind für sie keine Alternative. „Kein Strom, kein Benzin, Korruption und Vetternwirtschaft“, zählt sie die Kritikpunkte vieler Kurden an ihrer Führung auf. Besonders verärgert ist sie darüber, dass sich die beiden Parteien elf Monate nach der ersten Parlamentswahl, bei der auch ein neues kurdisches Parlament gewählt wurde, noch immer nicht auf eine neue Regierung einigen konnten.

Besonders unter den jüngeren Wählern hat man wenig Verständnis für die kurdische Diplomatie. Für die Kurden steht bei dieser Wahl freilich viel auf dem Spiel. Im Januar waren sie wegen des Wahlboykotts der arabischen Sunniten zweitstärkste Fraktion im irakischen Parlament geworden. Da sich diesmal auch die arabischen Sunniten an der Wahl beteiligen werden, rechnen selbst Optimisten mit allenfalls gut 50 Sitzen für die Kurden. Deshalb wird bis zur letzten Minute um jede Stimme gekämpft. Landauf, landab haben sie auf Dorfzusammenkünften und Versammlungen von Berufsständen, Frauen und Stammesscheichs sowie Volksfesten für ihre Wahl geworben. Auf den Parteisendern ist das Emblem der Kurdistan-Allianz geschaltet, Wahlclips erinnern an die Schrecken der Diktatur, und in Sondersendungen stellen sich Parteikader den kritischen Fragen von Zuschauern. „Ihnen geht es doch nur um ihre eigenen Taschen“, sagt Bayan Abdulla. Die Studentin haben sie bisher nicht überzeugt. INGA ROGG