Die Wahl, die alles ändern soll

Bei der Wahl im Irak am Donnerstag könnten die religiösen Parteien an Einfluss verlieren. Die Blöcke der Wahl vom Januar haben sich aufgelöst

Diesmal wählen auch die Sunniten. Die schiitischen Politiker haben viel Vertrauen verspielt

VON KARIM EL-GAWHARY

Für manche in Bagdad sind diese Wahlen eine Frage von Bleiben oder Weggehen, von Leben oder Tod. „Die Parlamentswahlen werden darüber entscheiden, ob ich mit meiner Familie das Land verlasse oder ob wir doch noch Hoffnung haben“, sagt der Journalist Zuhaid Radwan. Wenn erneut die religiösen Parteien die Mehrheit im Parlament stellen werden und damit eine Verschlimmerung der Lage bis hin zum Bürgerkrieg droht, dann packe er sein Koffer. Erst gestern sei seine unverschleierte Frau wieder mitten in Bagdad auf offener Straße angepöbelt worden, weil sie kein Kopftuch trägt. „Wie wir“, sagt er, „denken viele der städtischen Eliten an Auswanderung, seien es Sunniten oder Schiiten.“

Mit den Wahlen am Donnerstag soll die politische Übergangsperiode des Irak ihrem Abschluss entgegengehen. Für vier Jahre soll die Volkskammer diesmal im Amt bleiben. Nach den Übergangswahlen im Januar stellte die religiöse schiitische Liste der „Vereinten Irakischen Allianz“, eine Koalition aus 18 Parteien, die einfache Mehrheit und damit den Ministerpräsidenten und die Mehrzahl der Minister. Gerade das könnte sie heute Punkte kosten. Mit ihnen zog die Korruption in die Ministerien ein. Und nicht nur sie. Das Innenministerium wurde regelrecht von Milizionären des Obersten Rates für die Islamische Revolution unterwandert. Was folgte, waren Folterskandale in den Gefängnissen, in denen die Milizionäre die Kontrolle übernommen hatten. Die Zugehörigkeit zu einer der religiösen Parteien erwies sich bei der Auswahl der Beamten oft als wichtiger als ihre Qualifikation. Oft haben sich wegen ihrer Inkompetenz die Dienstleistungen noch verschlechtert. Kurzum: Selbst in den schiitischen Teilen des Landes ging es bergab. Dazu kommt, dass selbst die religiösen Führer der Schiiten inzwischen der Liste ihr Vertrauen entzogen haben. Großajatollah Ali al-Sistani hat zwar aufgerufen, an den Wahlen teilzunehmen, aber anders als bei dem Votum im Januar hat er sich nicht mehr explizit hinter die „Vereinte Irakische Allianz“ gestellt.

Zudem ist die Liste hoffnungslos untereinander zerstritten. Laden die einen die Amerikaner zum Bleiben ein, solange es eben nötig ist, fordern andere, wie Schiitenführer Muqtada Sadr, einen Zeitplan für den Abzug der Besatzer.

Die Vertrauenslücke zur schiitischen Parteienriege könnten säkulare schiitische Politiker nützen, wie der ehemalige Ministerpräsidenten Ajad Alawi. Er präsentiert sich als Alternative zu religiöser Rückständigkeit, als jemand, der eine moderne und säkulare Regierung jenseits der Konfessionslinien aufbauen kann. Galt er einst als „Mann der Amerikaner“, der den blutigen Angriff die Rebellenhochburg Falludscha angeordnet hatte, steht er heute eher als Symbol nationaler Einheit, der nicht nur die Stimmen der säkularen Schiiten, sondern auch eines Teils der Sunniten an sich binden könnte. „Alawi ist der Einzige, der die zunehmende Islamisierung und den Bürgerkrieg noch aufhalten kann“, glaubt auch der Sunnit Zuhair Radwan, der erwartet, dass Alawi vor allem in den Städten, seien sie schiitisch oder auch sunnitisch, gut abschneiden wird.

Denn anderes als im Januar, als die Sunniten die Wahlen mehrheitlich boykottiert hatten, bezeichneten diesmal viele Imame im Freitagsgebet den Gang zur Urne als „religiöse Pflicht“. Der einflussreiche „Rat der sunnitischen Rechtsgelehrten“ erklärte, dass jeder nun für sich selbst entscheiden müsse, ob er wähle gehe. Die meisten Sunniten sehen den damaligen Wahlboykott heute als Fehler an, da sie aus dem politischen System und vor allem aus der Ausarbeitung der Verfassung vollkommen ausgeschlossen wurden.

„Wir hatten damals gesagt, dass wir solange nicht zur Wahl gehen, solange das Land besetzt ist“, blickt ein Bewohner des sunnitischen Viertel Assamija in Bagdad auf die damalige Entscheidung zurück. „Aber was ist, wenn die Besatzer zehn Jahre im Land bleiben? Soll ich so lange meine politischen Rechte aufgeben?“

Selbst innerhalb der Guerilla stößt das Projekt der Wahlen nicht mehr durchgehend auf Ablehnung. Die irakische al-Qaida bezeichnete zwar im Internet die Wahlen als „gottlos“ und „ketzerisch“. Doch in der umkämpften Anbar-Provinz, in der die Rebellenhochburgen Falludscha und Ramadi liegen, sind Flugblätter des arabisch-nationalistischen Teils der Kämpfer aufgetaucht. Sie warnen die Anhänger al-Qaidas davor, Wahllokale anzugreifen. „Wagt es nur nicht Wähler anzugreifen“, heißt es dort, „sonst bekommt ihr es mit uns zu tun!“