Krach, Stille, Theorie

FESTIVAL Samir Akika eröffnet mit „Penguins & Pandas“ das Festival „Theater Bremen tanzt“, das spannende Einblicke in höchst unterschiedliche künstlerische Ansätze gewährt

■ Samstag: Vortrag von Stefan Schwarz über Sair Akika und Unusual Symptoms, 17 Uhr, Kleines Haus

■ „The Kitchen“ von Alexandra Morales/Unusual Symptoms, 18 Uhr, Kleines Haus

■ „Young & Furious“ von Samir Akika, 20 Uhr, Moks

■ „Logobi 05“ von Gintersdorfer/Klaßen, 22 Uhr, Kleines Haus

■ Party (Eintritt frei), 23 Uhr, Foyer im Kleinen Haus

■ Sonntag: „Young & Furious“, 16 Uhr, Moks

■ „Desistieren 4“ von Gintersdorfer/Klaßen, 18.30 Uhr, Kleines Haus

■ Montag: Podiumsdiskussion mit Heike Albrecht (Favoriten) und den beteiligten Künstlern, 17 Uhr, Foyer im Kleinen Haus

■ Vortrag von Leonie Otto über Laurent Chétouane, 19 Uhr, Foyer im Kleinen Haus

■ „Tanzstück #1: Bildbeschreibung von Heiner Müller“ von Laurent Chétouane, 20 Uhr, Kleines Haus

VON ANDREAS SCHNELL

Nachdem lange Jahre im Bremer Tanztheater vor allem der Stil von Urs Dietrich zu sehen war, ist seit dem Antritt von Michael Börgerding in dieser Sparte alles anders. Nicht nur, dass mit dem Duo Gintersdorfer/Klaßen, die als „Artists in residence“ immer wieder für mehrere Monate in Bremen arbeiten, ein oft sehr theorielastiger Ansatz regelmäßig vertreten ist. Auch der neue Haus-Choreograf Samir Akika verewigt sich nun regelmäßig mit einer Handschrift, die von Gintersdorfer/Klaßen möglicherweise ebenso weit entfernt ist wie vom vergeistigten Dietrich-Stil. Und dann gibt es ja auch noch Laurent Chétouane, mit dem das Theater Bremen ebenfalls mit einer gewissen Regelmäßigkeit kooperiert.

Diese unterschiedlichen Ästhetiken in einen Dialog zu bringen, sei laut Börgerding die Absicht des Festivals „Theater Bremen tanzt“, das am Mittwoch mit Akikas neuem Stück „Penguins & Pandas“ eröffnete. Um es vorwegzunehmen: Weder Pinguine noch Pandas tauchen darin auf, und es geht auch nicht um den WWF oder die globale Erwärmung. Eher schon um die Temperaturschwankungen der romantischen Zweierbeziehung.

„Together“ leuchtet es da in großen Buchstaben über der Bühne, alternierend mit „Forever“. Über die Liebe ist bekanntlich schon viel gesagt worden, und Akika hat dem nicht viel hinzuzufügen. Aber wie er das Thema behandelt, das ist durchaus sehenswert. In einem vielschichtigen Bilderreigen erzählt er vom Kennenlernen, den Verrenkungen, die Menschen unternehmen, der Unsicherheit, den Verdruckstheiten, über den Überschwang der Gefühle, das kleine Glück, das einem immer ganz groß vorkommt, bis hin zum Ende der Gefühle, die oft nicht einfach dazu führen, dass zwei sich trennen, weil sie zu tief drinstecken, von emotionaler Abhängigkeit über den Betrug bis zum großen Knall, wo – hier dann auch wirklich – Geschirr zu Bruch geht.

Akika pflegt immer noch eine grelle Ästhetik, einen lauten Stil, der immer wieder auf Popkultur verweist. Der Musiker Jayrope spielt neben knirschenden Drones und subtileren Ambient-Passagen auch Nancy Sinatras „Bang Bang“, dem Quentin Tarantino durch seinen Film „Kill Bill“ vor zehn Jahren zu verspätetem Ruhm verhalf. Und wenn eine Zigarette angezündet wird, sind die dabei entstehenden Geräusche mikroskopartig vergrößert wie in der Kinowerbung, knistert der Tabak, als würde die Zigarette direkt neben dem eigenen Ohr abbrennen.

Neu allerdings ist, dass Akika hier ansonsten ganz auf Text verzichtet, wo er bei seinen vorherigen Produktionen die Grenzen zwischen Theater und Tanz immer wieder vehement durchbrach. Zwar tritt gelegentlich einer der Akteure ans Mikrofon – aber es kommt beim besten Willen nichts heraus als ein Luftholen, ein Seufzen, ein Stöhnen, ein resigniertes Seufzen. Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man schweigen. Oder tanzen. Manches bleibt dabei unscharf, assoziativ, die Masken zum Beispiel, die eine Zeit lang die Köpfe dreier Ensemblemitglieder, nun ja, zieren: ein Hase, eine Maus, ein Schwein. Anderes ist wieder sehr explizit: die Domina, die den Mann an der Hundeleine führt, die brave Hausfrau, die sich zu Hause grämt, die Braut, die erwartungsvoll auf den Sternenhimmel zuschreitet. „Together forever“? Die Liebe stiftet dieses Ewige offenbar nicht – jedenfalls nicht zuverlässig.

Die Spannbreite der ästhetischen Ansätze im Tanz am Theater Bremen ließe sich exemplarisch an der Distanz zwischen Akikas gelegentlich trashigem, lautem Stil und Laurent Chétouanes „O“ verdeutlichen, das am Donnerstagabend auf der Probebühne Kresnik, hoch oben im vierten Stock, zu sehen war. Das „O“ steht dabei nicht allein für den Buchstaben, den Laut, sondern lässt sich auch als Kreissymbol verstehen, das in dieser höchst minimalistischen Choreografie motivisch immer wieder zu erkennen ist. In einer halben Stunde misst der Tänzer Mikael Marklund das Bühnengeviert aus, durchschreitet es, kreist darin, umläuft es, steht auch manchmal nur still darin, mit weit geöffneten Augen, den Mund bewegend, als wolle er etwas sagen. Dann wirkt er geradezu zerbrechlich, hilflos, wie ein scheues Reh. All das findet in fast völliger Stille statt. Nur die Bewegungen Marklunds erzeugen Geräusche. Vorsichtig tastet sich Marklund in mal nach innen kreisenden, mal raumgreifenden Bewegungen durch das Stück, erst spät gewinnen seine Bewegungen an Kraft, bis er befreit an den Rändern der Bühne entlangläuft und am Publikum vorbei, mit weit geöffneten Armen. Abwehr oder Umarmung – das ist nicht deutlich zu erkennen. Aber so ganz öffnet er sich uns jedenfalls nicht. Er verlässt, so still wie er gekommen ist, den Raum.

Gestern zeigten dann Gintersdorfer/Klaßen zwei Teile ihrer Reihe „Logobi“ – eine weitere Herangehensweise an das, was im Theater Bremen im Tanztheater zu sehen ist. Eine, die den Begriff noch weiter dehnt als Akika.