Der Europarat will mehr wissen

Der Schweizer Menschenrechtsermittler Dick Marty legt einen ersten Bericht über die CIA-Affäre vor: „Es gab eine Methode, es gab eine Logistik und es gab das Personal für diese Art von Operationen“

PARIS taz ■ Der Verdacht, dass die CIA von ihr gekidnappte Gefangene durch Europa transportiert und in Geheimgefängnissen in Europa festgehalten hat, erhärtet sich immer mehr. Das erklärt der Menschenrechtsermittler des Europarates, Dick Marty. Der Schweizer Politiker legte gestern in Paris dem Rechtsausschuss des Europarats erste Ergebnisse seiner Ermittlungen vor. „Meine Informationen“, so Marty, „erhärten die Glaubwürdigkeit der Anschuldigungen.“ Auf seine Anregung beschloss der Rechtsausschuss, eine Sondersitzung der parlamentarischen Versammlung des Europarats für Januar einzuberufen. Parallel dazu wartet die Organisation auf Post aus den 46 Mitgliedsländern. Sie hat die Regierungen aller Mitgliedsländer verbindlich aufgefordert, Auskunft über etwaige Aktivitäten der CIA auf ihrem Territorium zu geben. Bisher ist Marty von der Hilfe nicht überzeugt: „Die Regierungen beeilen sich nicht gerade.“

Eine Erklärung von US-Außenministerin Condoleezza Rice zur CIA-Affäre, die Washington dem Europarat zugeschickt hat, betrachtet Marty keineswegs als Dementi. Rice hatte darin nicht bestritten, dass es Geheimtransporte und -gefängnisse der CIA in Europa gegeben habe. Sie stellte nur fest, dass es in Europa keine Folter gegeben habe.

Als direkte Bestätigung für die Existenz von solchen Transporten und Gefängnissen wertet der Europaratsermittler bislang lediglich zwei konkrete Fälle: ein aus Mailand über Deutschland (Ramstein) nach Ägypten entführter Imam. Und der Fall al-Masri (siehe oben). „Es gab eine Methode, es gab eine Logistik und es gab das Personal für diese Art von Operationen“, so Marty.

Zahlen über die von der CIA gekidnappten Gefangenen sowie Zahlen über die Geheimgefängnisse nannte Marty nicht. Auch die Namen seiner bisherigen Gesprächspartner hielt er geheim. „Ich respektiere den Quellenschutz so lange, bis die Quellen mich autorisieren, sie öffentlich zu nennen“, sagte er.

Die Aufklärung, die der Europarat jetzt betreibt, komme mindestens drei Jahre zu spät, räumt Marty ein. Er stellt selbstkritisch fest, dass es schon 2002 Informationen über die Existenz eines möglichen Geheimgefängnisses im Kosovo, das mit Guantánamo-ähnlichen Methoden arbeitete, gegeben habe. Dennoch sei die Affäre erst jetzt und erst durch Veröffentlichungen in den USA – „und nicht in Europa“ – an die Öffentlichkeit gekommen.

Hoffnung, dass die Ermittlungen nun weiterkommen, schöpft Marty derzeit jedoch aus dem größeren Engagement der europäischen Institutionen – vom Europarat über die EU-Kommission bis hin zu einzelnen Regierungen. Auf seine Anfragen geantwortet habe allerdings von den beiden osteuropäischen Regierungen, auf deren Ländern der größte Verdacht von Geheimgefängnissen lastet, bisher nur Rumänien. Polen schweigt. Auch konkrete Terminzusagen, wann die europäischen Satellitenaufnahmen über mögliche CIA-Geheimgefängnisse in Polen und Rumänien bei ihm ankommen sollen, hat Marty bislang nicht. Er weiß auch nicht, wann er die von der EU-Kommission zugesagten Informationen der europäischen Flugaufsicht zu den geheimen CIA-Flügen erhalten wird. Problematisch ist zudem, dass der Europarat keinerlei Sanktionsinstrumente und nur wenig Personal für die Ermittlungen hat. Deshalb setzt Marty vor allem auf zwei Dinge: die sensibilisierende Arbeit der Parlamentarier und die Medien.

Und noch eines stellte Marty gestern fest: „Ich bin ziemlich sicher, dass es gegenwärtig kein Kidnapping und keine illegale Inhaftierung in Europa gibt.“

DOROTHEA HAHN