Das hässliche Gesicht von Berlin

EIN NEUES ASYLHEIM

220 Menschen in einem Bezirk von 250.000 Einwohnern – und die Bürger drehen durch

Es waren dumpfe Ressentiments, die am Dienstagabend im Rathaus Reinickendorf das Wort führten. Warum, fragte das wütende Bürgertum, müssten „die Ausländer“ gerade vor ihre Haustür? Was tun, wenn sie plötzlich im Garten stünden? Gemeint waren 220 Asylbewerber, die künftig in einem ehemaligen Seniorenheim untergebracht werden sollen.

220 Menschen in einem Bezirk von 250.000 Einwohnern – und die Bürger drehen durch. Es war das hässliche Berlin, das sich am Dienstagabend zeigte. Man kannte es aus Heinersdorf, das einst wochenlang gegen einen Moscheebau ätzte. Man kennt es aus den Sälen der volkstümelnden Sarrazin-Claqueure. Ein Kleingeisttum, das man im Multikulti-Berlin längst überwunden glaubte. In einer Stadt, in der jeder vierte Migrationshintergrund hat. In der der SPD-Fraktionschef ein eingewanderter Palästinenser ist, die Gorki-Theaterchefin geborene Türkin, der Hertha-Star ein Brasilianer.

Nur zieht sich diese Mentalität hoch bis in die Bezirksspitzen. Gut 5.400 Flüchtlinge, verkündete die Sozialverwaltung diese Woche, warten in Sammelunterkünften derzeit auf Asyl. So viele wie seit Jahren nicht. Und doch eine verschwindend geringe Größe in einer 3,5-Millionen-Metropole. Umso hanebüchener, was mancher Bezirk vorschiebt, um Obdach zu verweigern. Auch in Reinickendorf weigerte sich die zuständige CDU lange, das alte Pflegeheim als Flüchtlingsort zuzulassen. Dabei nimmt der Bezirk bisher auf: gut 100 Flüchtlinge. Beschämend. Zum Vergleich: In Lichtenberg sind es 1.200. Mit dem Geist Reinickendorfs jedenfalls wird Berlin seiner Aufgabe, schutzsuchenden Menschen auch wirklich Schutz zu gewähren, nicht gerecht.

Es geht anders. Man kann von Kreuzberg halten, was man will – aber dort wird die gern gepredigte Weltoffenheit dieser Tage praktisch eingelöst. Als am Mittwoch das Vergabeverfahren für die von Asylsuchenden besetzte Schule begann, erklärten mehrere Initiativen, nur gemeinsam mit den Flüchtlingen einziehen zu wollen. Und am Oranienplatz öffnen Anwohner für die dort campierenden Flüchtlinge ihre Wohnungen und Duschen, spenden Kleider, betreuen Kinder.

Sicher, nicht alle tun das. Und seit Wochen schon schleicht ein Kreuzberger ums Asylcamp und zetert über die „Dreckhöhle“. Erneut ein CDU-Mann, Kurt Wanser. Da ist es wieder, das hässliche Berlin. KONRAD LITSCHKO