Reduzierte Rechenleistung

Ganz Deutschland diskutiert das nordrhein-westfälische Modell der Abgeordnetenversorgung. Nur der Präsident der niedersächsischen Diätenkommission hält es weiterhin nicht für sinnvoll

von Kai Schöneberg

Es klingt zunächst paradox: Obwohl die Diäten verdoppelt werden, haben die Abgeordneten im Schnitt 2.000 Euro weniger auf dem Konto, weil sie selbst für ihre Altersvorsorge aufkommen müssen. Als der nordrhein-westfälische Landtag am März dieses Jahres das völlig neue Modell der Abgeordnetenversorgung beschloss, stimmten alle Fraktionen zu. Trotz Wahlkampfs. Inzwischen sehen Verwaltungsexperten wie Landtagspräsidenten darin ein Vorbild für andere Bundesländer.

Umso mehr verwunderte da gestern Willy Boß. „Das NRW-Modell haben wir nicht gerechnet“, sagte der Vorsitzende der niedersächsischen Diätenkommission. Natürlich schlug seine Kommission vor, dass die Abgeordneten auch im kommenden Jahr eine Nullrunde einlegen sollen. Immerhin kalkulieren viele Wirtschaftsforscher, dass die Bruttolöhne und gehälter von Otto Normalbürger im Jahr 2006 sogar um 0,7 Prozent zurückgehen. Alle Fraktionen begrüßten dementsprechend, dass Volksvertreter im Nordwesten auch im kommenden Jahr 5.403 Euro steuerpflichtige Grundentschädigung sowie 1.027 Euro steuerfreie Aufwandsentschädigung monatlich erhalten. Die Summe ist seit 2002 unverändert.

An die Grundprobleme wagte sich die Niedersachsen-Kommission aber nicht heran: die recht voluminöse Altersversorgung aus Steuermitteln und die steuerfreien Pauschalen für die Betreuung der Wahlkreise. „Wir wollen damit auf mittlere Sicht Geld sparen“, sagt der Düsseldorfer Landtagssprecher Hans Zinnkann zum dortigen Modell, das diese Probleme gelöst hat. Zunächst rechnen die Nordrhein-Westfalen mit zwei Millionen Euro weniger Kosten jährlich, langfristig sollen zweistellige Millionenbeträge drin sein. „Wenn ich jetzt Leistungen vorziehe, die in 10, 20, 30 Jahren auf den Staat zukommen, kann das nicht sinnvoll sein“, behauptet der Niedersachse Boß. Das NRW-Prinzip sei da „nachhaltiger“: Einerseits fallen die steuerfreien Aufwandspauschalen für die 187 Abgeordneten an Rhein und Ruhr weg, zudem müssen sie monatlich 1.500 Euro in eine Rentenkasse zahlen. Dafür verdienen die NRW-Abgeordneten nun auch 9.500 Euro monatlich, zuvor waren es 4.807 Euro, plus steuerfrei etwa 5.900 Euro.

„Es macht Sinn, wenn man Abgeordnete mit den Bürgern gleichstellt“, sagt hingegen der Sprecher des Landtags in Sachsen, Ivo Klatte. Bis Ende kommenden Jahres werde eine Diätenkommission einen entsprechenden Vorschlag für die sächsischen Abgeordneten ausarbeiten. Auch in Schleswig-Holstein und im Bundestag wird der Vorschlag aus Düsseldorf diskutiert.

„Keine andere Bevölkerungsgruppe hat so ein Privileg wie eine steuerfreie Kostenpauschale“, sagt Bernhard Zentgraf vom niedersächsischen Bund der Steuerzahler. Ihn wurmt auch die Intransparenz bei den Altersbezügen der Abgeordneten. Die derzeitige Lösung verschiebe zudem die Lasten für die Pensionen auf die Zukunft. Zentgraf schließt nicht aus, die niedersächsischen Landtägler per Volksinitiative zum Umdenken zu zwingen. Mit einer ähnlichen Aktion hatten seine Steuerzahler-Kollegen in NRW gedroht. Zentgraf: „Man kann doch den Bürgern nicht sagen, sie sollen privat vorsorgen und die Parlamentarier mit einer Staatsrente versorgen.“