die taz vor 14 Jahren über mögliche massaker im „spiegel“
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Das Schlimmste ist zu befürchten, ja: Droht ein Massaker? Es könnte so kommen, daß sich Ströme warmen Bluts sammeln in Hamburgs Hochhaus an der Brandstwiete 19, über die Straße in die Elbe fließen. Man weiß, wie das ist bei Sekten.

Wohin das führt, war bei den Jüngern des Mister Jones in Guayana zu sehen: Wenn der Führer abtritt, sind ruck, zuck alle mausetot. Da lassen Sätze wie der von Hellmuth Karasek, wenn Rudolf Augstein nun gehe, könne man den Laden dichtmachen, Gruseliges ahnen. Manchmal, heißt es, läßt Karasek mit den Daumen seine Hosenträger schnalzen und freut sich dabei über die Wildheit in den Achtundsechzigern. Ei, was für antiautoritäre Zeiten. Mehr Demokratie wurde gewagt, und der Spiegel bekam ein Mitbestimmungsmodell, weshalb noch heute die Angestellten bei der Bestellung des neuen Chefredakteurs mitreden. Nun sagt Augstein, daß es dabei „nicht zu basisdemokratischen Narreteien“ kommen dürfe. Das (Redakteurs-)Volk ist nicht mündig genug. So ist das.

Es braucht den Führer, Tycoon, Kapitän, Anchor Man. Einen, der Halt gibt und den Weg weist. Einen Charismatiker. Auf allen gesellschaftlichen Feldern wird Klage geführt über das Aussterben dieser Dinos: Wehner und Strauß, Adorno und Bloch, Marlene Dietrich und Curd Jürgens, Fritz Walter ist auch schon alt – und Henri Nannen macht Kunst. Wie der Stern das bislang überlebt hat? Ein Wunder. Nur so geht das.

Ganz klar: Der Spiegel braucht Stefan Aust. Der hat die Figur von Napoleon, und wahrscheinlich genügen ihm wie dem Korsen ein paar Minuten Schlaf im Stehn, während er die Seinen in die Medienschlacht führt. Und wenn nichts daraus wird? Dann metzeln sich die Magazinisten mit Büroklammern und springen – eins, zwei, drei – von ihren Laptops in die Tiefe, Karasek voran. Sein Freund Billy Wilder könnte eine flotte Komödie darüber drehen. Das wär’s doch.

taz, 15. 12. 1994, Herr Thömmes