Im Kreuzberg Pavillon
: Obst und Gemüse

Wie ein guter Gemüsehändler wog er sie in den Händen

Schwer zu sagen, was die dreißig Leutchen bei dichtem Schneetreiben in die abgelegene Ecke Kreuzbergs getrieben hatte. Das Tanzverbot am Karfreitag? Die Aussicht auf die warme Suppe, mit der der Kreuzberg Pavillon die Klangperformance „Gurkenstück“ in der Einladungs-E-Mail schmackhaft zu machen versucht hatte? Die Sehnsucht nach der Avantgarde? „Obst und Gemüse“ hieß mal eine legendäre Schnittstelle zwischen Kunst und Nachtleben in Mitte. Zumindest ein Teil davon haust jetzt hinter dem Oranienplatz.

Vegetabiles war nicht auszumachen in dem kleinen Ladenlokal. Nur ein Schlagzeug stand auf den Holzdielen. Auf dem begann Sven Åke Johansson, ein kleiner Herr im sandbraunen Dreiteiler und straff zurückgekämmten Haaren, irgendwann sein „The Cucumber Piece“ mit Percussion-Standards: Plastikdeckel auf Trommeln und so. Bis er zu zwei unter einem Geschirrhandtuch verborgenen Gurken griff. Wie ein guter Gemüsehändler wog er sie in den Händen, rieb mit ihnen über das Trommelfell. Und hieb dann mit beiden Schlagstocksubstituten über die Becken. Die wunderbar sanft und dumpf erzitterten.

Doch dann fing er an, die grünen Kloben am scharfen Rand der zwei Idiophone zu zerschneiden. Und wie, um seine mit heiligem Gesicht durchgehaltene Performance zu profanieren, beschied er den Gurkensalat zu seinen Füßen lässig: „Mit einem schönen Gruß aus der Obst- und Gemüseabteilung“. Was das Ende der Gurke als Klangkörper war. Aber der Beginn einer ganz neuen Musik. Trotzdem machte es irgendwie traurig. „Na komm“, munterte mich Chris lachend auf. „Tut mir halt leid um die beiden“, entgegnete ich. Wir standen in der Küche des selbst ernannten „Kraftzentrums der Kunst“ und aßen einen Teller der dampfenden Suppe aus einem nahen Verwandten der Gurke: Kürbis. Auch das Gemüse hatte dran glauben müssen. INGO AREND