FRAUENZEITSCHRIFTEN BEI PRO QM, SOLIPARTY FÜR DEN LAUTSPRECHERWAGEN IM ://ABOUT BLANK UND WAHRE HIPSTER IM ALPTRAUM II
: Verbeult, zerkratzt, zusammengeflickt

VON SONJA VOGEL

Es ist Donnerstag, der 27. März, mein Kontostand hat sich nach Tagen im freien Fall bei 11,08 Euro gefangen. In einem Anflug von Midlife-Crisis hatte ich mein letztes Geld in Klamotten gesteckt: neongelber Reißverschluss, Zwickel knapp überm Boden. Ein von vornherein verpatzter Start ins Wochenende. Ein echter Rohrkrepierer. „Mit 30 ist es für dich vorbei“, redet mir mein bester Freund seit Jahren ein. „Hrmpf“, antworte ich dann bloß. Aber B. hat auch gut reden. Er ist irgendwo Richtung 40 stecken geblieben: bübisches Lächeln, ausgedünntes Haar.

Jedenfalls bin ich klamm und setze mich deshalb zum Lesen in den Buchladen Pro qm. Ganz leicht biege ich die Buchdeckel auseinander und schiele in den Spalt. Es gibt schließlich nichts Barbarischeres, als einem Buch den Rücken zu brechen. Beim Rausgehen ist es um mich geschehen. An der Kasse liegt Sonja, die neue. Sonja. Das Frauenmagazin für Witze. Claim: Jeder braucht eine.

Und so geht es mit vier Euro weniger in den Abend. Startpunkt: Neukölln, unweit des S-Bahn-Rings. Über Biere gebeugt, bespreche ich mit A. die Lage der Welt. A. ist Autor des Fanzines Burn Collector, Musiker bei Milemarker und Assoziationsakrobat. Warum er hier in Berlin und nicht als Promi Kategorie D in den USA lebt? „Europa ist wie Sozialismus“, sagt er und lächelt. Doch A. lächelt nicht einfach. Er hält den Kopf gesenkt, entblößt routiniert langsam die linke Zahnreihe, der Nasenrücken kräuselt sich, er greift sich ins Haar, zwinkert und zeigt die restlichen Zähne. Widerspruch zwecklos. Viel später sitzen wir im Alptraum II zwischen holzvertäfelter Theke und Spielautomat. Aber nicht lange. Mit den 80 Gästen, die gerade noch entspannt ihre Oberlippenbärte gestreichelt und ihr Schulli gewiegt hatten, stehen wir würgend auf der Straße. Irgendwer hat mit Reizgas gespielt. Hustend und sämtliche Mütter verfluchend hängt eine Traube Youngster über die Brüstung des Hochparterrebalkons – über ihnen wie ein Menetekel der Schriftzug „Alptraum II“. Das und das Gas treiben mir dicke Tränen aus den Augen.

Angeregt vom Tanzverbot gehe ich am Karfreitag mal wieder schwofen. Als ich im ://about blank auf der Soliparty für den Lautsprecher-Wagen (liebevoll „Lauti“ genannt) eintreffe, geht gerade Sookee von der Bühne. Auch die Minidemo und das Konzert auf dem wackligen Hausdach habe ich verpasst. Aber das Motto ist so zuckersüß, dass ich die letzten Münzen aus der Tasche schüttle: „Wer liebt, der schiebt!“ Das Geld geht an Bus und Soundsystem, mit denen seit Jahren linke Projekte unterstützt werden. Der Lauti hat das nötig, ist er doch fast der letzte seiner Art. Verbeult. Zerkratzt. Zusammengeflickt. Wenn er für eine Demo gesattelt wird, kann man nicht anders, als dem treuen Kampfross auf die rostige Flanke klopfen: klong, klong.

Schon vor Mitternacht tropft im großen Raum kondensierter Schweiß von der Decke. Das Zelt im Hof ist ausnahmsweise eine echte Punk-Kaschemme: Sterni für 1,50 Euro, und es stinkt nach nassem Hund. Derweil gibt es drinnen ein strammes Unterhaltungsprogramm: Glücksrad mit Demo-Sprüchen. Auf den teilweise aufgedeckten Buchstabentafel steht: Lüc_e__orf du _azi_est, wir wü_sche_ dir di_ _eule_pest! Dann wird endlich getanzt: Neonschwarz, von Raaben, Karacho Rabaukin.

Als ich am Morgen in der Bahn sitze, ist der Einlassstempel, die Doppelfahne der Antifa, ganz verwischt. „Astrein“, sagt mein Sitznachbar, „Black Flag!“ Dann muss ich raus. Vor der Kneipe Steckenpferd steht mir ein Mann im Weg. Verwirrt schaut er mich an. Hinter ihm, auf der anderen Straßenseite in der Morgensonne: mit devot gesenktem Kopf ein langbeiniger Stadtfuchs. Für einen Moment steht die Zeit still. Dann kotzt der Mann mir vor die Füße.