Berliner Platten
: Arschtretender Rock ’n’ Roll, raus aus der Vergangenheit: Satellite City und Tigers of Doom haben sich in Vinyl verewigt und feiern das heute im Roadrunners Club

Satellite City: „Scratches in the Night“ (monogam@gmx.net)Tigers of Doom (Sounds of Subterrania)

Nicht wenige Menschen wären eigentlich am liebsten als eine alte Decca-Single auf die Welt gekommen. Mit dem richtigen Stilbewusstsein müsste das dann eher ein Titel von Them statt einer von den Rolling Stones sein. Schon die B-Seite würde dabei reichen. Weil so ein Glück allerdings noch kaum jemand beschieden war, versuchen diese Menschen wenigstens, diesen untergegangenen Sixties-Kontinent bis in die Details hinein nachzubauen, mit dem Rhythm & Blues und mit den mittellangen Haaren. Die gleichen Akkorde werden aus der Gitarre geschaufelt, die einen früher in die Hitparade gebracht hätten und die sich heute zu einem ganz eigenen Paralleluniversum fügen. Manchmal gibt es kurze Momente mit Funkkontakt zur wirklichen Wirklichkeit, als zum Beispiel mit den so genannten The-Bands auch in der aktuellen Musik manches wieder so klang, wie man das bereits in den Sechzigern gemacht hat. So was aber bleibt Zwischenspiel.

Eigentlich hat man gar nichts miteinander zu tun und arbeitet geschieden an seinen eigenen Realitäten. Die Sechziger-Szene macht ihr Ding, meist in regen Personalunionen. Musiker veranstalten Konzerte mit Musikern, die ähnlich ticken und ihrerseits gern Kleinstlabels betreiben, die die Welt mit Kleinstauflagen von Neo-Sixties-Musik beglücken. Längst ist eine eigentlich bizarre Vision Wirklichkeit: dass eine historische Epoche als vollkommen gegenwärtiges Modell neu erschaffen wurde. Mit seiner ganz eigenen Zukunft.

Am heutigen Freitag kann man sie begucken, im Roadrunners Club in der Saarbrücker Straße 24, bei einer doppelten Release-Party. Da hat man zum einen Satellite City, ein relativ neues Berliner Outfit aus Trümmern von Dog Food Five, Mind Kiosk und den Grubby Things, das sein Debüt standesgemäß nur auf Vinyl herausbringt und um diese Vier-Titel-EP gleich eine eigene Plattenfirma dazu erfunden hat. Weil hier das Geld hineingesteckt wird, heißt sie kokett Fast Money Music. Auf „Scratches in the Night“ (monogam@gmx.net) findet sich dann funktionaler, stampfender Rock ’n’ Roll, der sich in jeder Sixties-Garage dieser Welt bestens zurechtfindet.

Die Tigers of Doom, zweite Band heute im Roadrunners Club, sind ein Duo: splitternde Gitarre über Schlagzeug-Scheppern, dazu noch Schreien und Gurgeln. Ihr unbetiteltes Album gibt es über das in Kassel ansässige Label Sounds of Subterrania als CD und auf Vinyl. Elf hechelnd angestochene Songs. Sie klingen, als hätte man alte 13th-Floor-Elevators-Singles auf 78 Umdrehungen in der Minute abgespielt. Alles fällt hier übereinander her, infizierter Blues und ein psychotischer Bo-Diddley-Antrieb. Neurotische kleine Kratzbürstigkeiten mit seltenen Anfällen von Melodienseligkeit, bei denen man gar nicht wissen möchte, was da für ein Rabatz in der Bude wäre, wenn man ihnen auf die blauen Wildlederschuhe treten würde. Einfach schönster arschtretender Rock ’n’ Roll also. Für alle, die zwischen Doo Rag und einem Jon Spencer noch etwas Platz im Regal haben. Zukunft ist überall und sowieso nur eine Frage der Einstellung. Thomas Mauch