Azubis werden abserviert

Betriebe beuten Auszubildende oft als Billigkräfte aus. Dies zeigt eine Studie des DGB. Danach muss jeder fünfte Lehrling regelmäßig Überstunden machen, meist ohne Geld oder Freizeitausgleich

VON GIUSEPPE PITRONACI

Ein Azubi, der Kfz-Mechaniker werden will, aber ständig das Auto vom Chef waschen muss. Eine Auszubildende im Hotel, die 55 Stunden pro Woche arbeitet. Solche Beispiele sind keine Ausnahme. Die Situation der Azubis in Berlin und Brandenburg hat sich stark verschlechtert. Dies beklagt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Berlin-Brandenburg, der gestern eine bundesweit einmalige Studie vorstellte. 2.500 Azubis in Berlin und Brandenburg wurden zu ihrer Ausbildung befragt.

Ergebnis: Etwa jeder fünfte Lehrling erhält keine ordnungsgemäße Ausbildung. „Ein flächendeckendes Problem“, sagt Bernd Rissmann, Vizechef des DGB in Berlin-Brandenburg. Die größten Mängel: Die Azubis müssen Dinge erledigen, die nichts mit der Lehre zu tun haben, und sie müssen zu viel arbeiten. Fast jeder fünfte Lehrling in Berlin macht regelmäßig Überstunden. Über 8 Prozent bekommen weder Geld noch Freizeit als Ausgleich. Eher müssen sie noch draufzahlen. So sollte laut DGB etwa ein 20-jähriger Nachwuchsgärtner in Brandenburg 100 Euro Strafe zahlen. Grund: Er schaffte es nicht, in seiner Freizeit eine Sammlung mit 150 Pflanzen anzulegen.

„Man kann die Jugendlichen nur auffordern, dass sie sich nicht alles gefallen lassen“, sagt Christoph Lang, Sprecher des Berliner Wirtschaftssenators Harald Wolf. Der DGB aber konnte keinen Jugendlichen dazu bewegen, vor einer Kamera zu sprechen. Denn die Zahl der Ausbildungsplätze ist dramatisch zurückgegangen. In Berlin suchten dieses Jahr fast 30.000 Jugendliche eine Lehrstelle, nicht einmal 16.000 haben laut DGB eine Stelle bekommen. „Sie haben mit Mühe einen Platz ergattert und haben Angst, ihn wieder zu verlieren“, erklärt Rissmann die Scheu der Azubis vor der Öffentlichkeit. „In der Probezeit kann der Betrieb sie ohne Angabe von Gründen entlassen.“

Zudem wissen viele Azubis nicht über ihre Rechte Bescheid. Eigentlich müsste jeder von ihnen zu Beginn der Lehre einen Plan mit den Ausbildungsinhalten bekommen. Wer dann vom Chef zum Einkaufen geschickt wird, wüsste: Das steht nicht auf dem Programm. „Das Problem ist: Die meisten Azubis kennen keinen Ausbildungsplan“, sagte Rissmann.

Die Mängel in der Ausbildung treten hauptsächlich bei kleinen und mittelständischen Betrieben auf sowie im Gastronomie- und Hotelgewerbe. „Betriebe sehen die Azubis oft als billige Arbeitskräfte“, sagt Rissmann. Das sei Missbrauch. „In dem Maß, wie der wirtschaftliche Druck auf die Unternehmen wächst, wächst der Druck auf alle Mitarbeiter. Also auch die Azubis“, erklärt Wolf-Sprecher Christoph Lang. Das könne aber nicht als Entschuldigung gelten.

Kontrollen der Betriebe scheinen kaum durchsetzbar. Rissmanns Analyse: Die Industrie- und Handelskammer (IHK) in Berlin habe es schon schwer, Betriebe dazu zu bringen, Ausbildungsplätze anzubieten. So sei kaum zu erwarten, dass sie im Nachhinein die Ausbildungsplätze kontrolliert. Zudem bestreitet die IHK, dass die Probleme so massiv auftreten (siehe rechts).

Lehrlinge können sich im Internet mit Fragen an „Dr. Azubi“ wenden. Dahinter steht Carla Dietrich, die Jugendbildungsreferentin beim DGB in Berlin-Brandenburg. Sie und weitere Mitarbeiter besuchen auch regelmäßig Berufsschulen in Berlin und Brandenburg, um die Jugendlichen über ihre Rechte aufzuklären. „Dr. Azubi“ hat dann ein eigenes Zelt auf den Pausenhöfen, um Jugendliche zu beraten. Vertraulich natürlich. Auch im Haus des Wirtschaftssenators können sich Betroffene Unterstützung holen.