HAMBURGER SZENE VON AMADEUS ULRICH: Der alte Mann und der Müll
In meiner Straße wohnt ein alter Mann, den kein Anwohner so recht leiden kann. Denn stets steht er auf dem Balkon, raucht und ruft die Polizei. Tag für Tag notiert er Kennzeichen, wenn jemand nicht ganz nach Vorschrift parkt. Letztens musste ich erfahren, dass der ältere Herr auch gern die Arbeit der Müllabfuhr übernähme.
Es ist frostig, schnell möchte ich zurück in die Wohnung. Drum trage ich den weißen Sack nicht bis zur Straße, sondern stelle ihn zu anderen Mülltonnen. Zwei Stunden später, es ist bereits finster, gehe ich erneut nach draußen. Vor meiner Haustür liegt: der weiße Sack. Mir ist sofort klar, dass der alte Mann ihn hergetragen haben muss.
Da kommt er mir schon– zufällig natürlich – in Lederjacke und mit seinem kleinen Kläffer entgegen. „Wohnen se hier?!“ fragt der Alte. Ich bejahe. Ein Fehler. Er holt Luft, hebt den Finger und brüllt: „Das geht so nicht, Freundchen, benutz deine eigene Mülltonne!“
Ich pöbele zurück. Kurz denke ich, dass wir uns gleich prügeln. Ob er nicht aufhören könne, die Polizei zu nerven, frage ich. Daraufhin der Mann mit dem inzwischen dunkelroten Kopf: „Ich war selbst bei der Polizei!“ Wie auch immer. Bei der Müllabfuhr war er zumindest nie. Dann wüsste er nämlich, dass ein weißer Sack quasi eine bezahlte Mülltonne, und somit all die Aufregung umsonst ist.
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