Grenzenlose Ermittlungen

RECHTSPOLITIK Die EU plant, grenzüberschreitende Ermittlungen zu vereinfachen. Dann könnten Strafverfolger auch in anderen EU-Staaten Hausdurchsuchungen oder Telefonüberwachungen anordnen

Das EU-Parlament will die rechtsstaatlichen Vorgaben noch stärken

FREIBURG taz | In Brüssel gehen die Verhandlungen über eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) in die heiße Phase. Sie soll Strafverfolgern das Recht zu grenzüberschreitenden Ermittlungen im gesamten EU-Raum geben. Die Justiz aus anderen EU-Staaten könnte dann die deutsche Polizei auffordern, in Deutschland Verdächtige zu vernehmen, Wohnungen zu durchsuchen oder Telefone abzuhören.

Interessant ist dies nicht nur bei grenzüberschreitender Kriminalität wie Drogenschmuggel oder Autoschiebereien. Auch wenn ein Tatverdächtiger ins Ausland flieht oder Zeugen im Ausland leben, ist eine verbesserte Kooperation der Strafverfolger relevant.

Die EEA-Initiative wurde Anfang 2010 von sieben EU-Staaten unter belgischer Führung eingebracht. Ziel war es, die langwierige und umständliche Rechtshilfe zu ersetzen, bei der die Kommunikation über Regierungsstellen läuft. Stattdessen sollen die Justizbehörden, also Gerichte und Staatsanwaltschaften, direkt miteinander Kontakt aufnehmen. Nach dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung soll der grenzüberschreitende Wunsch nach Ermittlungsmaßnahmen in der Regel verbindlich sein und umgesetzt werden.

Der Bundestag war von dieser Initiative nicht begeistert und beschloss im Oktober 2010 eine skeptische Resolution. Er forderte eine Regelung, nach der die Kooperation immer dann verweigert werden darf, wenn eine Maßnahme nach deutschem Recht unzulässig wäre. Die Bundesrechtsanwaltskammer forderte, dass ein deutscher Beschuldigter auch gegen Polizeimaßnahmen effektiv klagen können muss, wenn diese in einem anderen EU-Staat angeordnet wurden.

Im Juni 2012 hat der EU-Ministerrat mit Zustimmung der Bundesregierung eine „allgemeine Ausrichtung“ beschlossen, die einige Bedenken berücksichtigt. Danach sollen EEAs in der Regel von einer Justizbehörde angeordnet werden. Wenn in manchen Ländern auch die Polizei und der Zoll Ermittlungsmaßnahmen anordnen können, dann muss sie für grenzüberschreitende Zwecke durch eine Justizbehörde bestätigt werden.

Wenn eine Maßnahme „in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur Verfügung stehen würde“, kann sie verweigert werden. „Damit ist die Hauptforderung des Bundestags erfüllt“, erklärte der FDP-Abgeordnete Marco Buschmann, der 2010 an der Formulierung der kritischen Parlamentsstellungnahme beteiligt war.

Inzwischen haben Ministerrat, EU-Kommission und Europäisches Parlament informelle Verhandlungen begonnen, den sogenannten Trilog, um sich auf einen gemeinsamen Text zu einigen. Das EU-Parlament will dabei tendenziell die rechtsstaatlichen Vorgaben noch stärken.

So soll zum Beispiel der Einsatz von verdeckten Ermittlern im Auftrag eines anderen EU-Landes ausgeschlossen werden. Vermutlich wird das Europäische Parlament der EEA-Richtlinie erst zustimmen, wenn auch über die parallel verhandelte Richtlinie zum Recht auf einen Anwalt eine Einigung erzielt wurde.

Es fällt auf, dass die deutschen Strafverfolger die Verhandlungen in Brüssel relativ unbeteiligt beobachten. Sie scheinen an den neuen EEA-Ermittlungsmöglichkeiten wenig interessiert zu sein. Wer mit erfahrenen Staatsanwälten und Polizisten spricht, erfährt, dass der direkte Kontakt zwischen den Justizbehörden in der EU heute schon eher die Regel als die Ausnahme ist. Vor allem in Grenzregionen gibt es vielfältige Formen der Zusammenarbeit.

Die förmliche Rechtshilfe über das Bonner Bundesamt für Justiz scheint hauptsächlich noch bei Ermittlungen außerhalb der EU zum Einsatz zu kommen. Die Europäische Ermittlungsanordnung, die wie ein großer Wurf wirkt, hinkt also der Praxis hinterher.

CHRISTIAN RATH