Wo ist Zuhause, Mama?

SCHWERPUNKT Will man von einer Sache noch etwas wissen, wenn man sie hinter sich lässt? Ein Schwerpunkt der Schwankhalle setzt eher auf Unschärfe als auf Begriffsklärung

Was Menschen bewegt, ihre Heimat zu verlassen, lässt sich eher aus politischen und ökonomischen Bedingungen erklären als aus dem Ort, von dem aus sie aufbrechen

VON ANDREAS SCHNELL

Mit der Heimat ist das eine Sache, mit der Liebe zu ihr eine andere. Natürlich haben sie miteinander zu tun. Aber es gibt auch Unterschiede. Für das eine kann sozusagen niemand etwas: Der Mensch wird an einem meist recht bestimmten Ort geboren, wächst auf – das dann in manchen Fällen schon nicht mehr an nur einem bestimmten Ort. Weil er, der Mensch, in der Regel in seinen jungen Jahren von den Eltern abhängig ist, kann er wenig dazu, dass wichtige Lebensereignisse unter den Bedingungen einer Region stattfinden und vielleicht zur lieben Gewohnheit werden. Das Essen, das Wetter, die Landschaft, eine Art zu sprechen, vielleicht zu trommeln oder zu tanzen.

Bei den Gebrüdern Grimm wird Heimat als „das Land oder auch nur der Landstrich, in dem man geboren ist oder bleibenden Aufenthalt hat“, bezeichnet. Und hier kommen Begrifflichkeiten ins Spiel, die erkennen lassen, warum der Begriff der „Heimat“ nicht so unbescholten ist, wie es scheinen könnte. „Das Land“ nämlich, es wird zur Zeit der Grimms zunehmend eindeutig zum Nationalstaat, lange später besetzen die deutschen Faschisten nicht nur Frankreich und Polen, sondern auch den Begriff „Heimat“.

Aber auch ohne diese Vereinnahmung ist der Begriff politisch belastet, bezeichnet eine Zugehörigkeit eben nicht so sehr zu einer Region, sondern zu einem politischen Projekt. Und in der Regel wird das Individuum eher dem Projekt zugeschlagen, als dass es sich seine Zugehörigkeit selbst aussuchte. Kaum ein Mensch, der davon nicht betroffen wäre. Der Mensch muss irgendwo hingehören, Staatenlosigkeit stellt für die Betroffenen ein echtes Problem dar, der Doppelpass, also die doppelte Staatsangehörigkeit, kommt immer wieder ins Gerede, wer irgendwo einreisen will, kann das kaum, ohne sich ausweisen zu können. Offenbar geht es schon um Verfügungsmacht. Weshalb die Sache mit der Heimat so unschuldig nicht ist. Viel Stoff also für eine Auseinandersetzung.

Die Schwankhalle befasst sich im April in der Reihe „Feinkost Wandel“ mit der Heimat, der Titel des Schwerpunkts: „Fliehkräfte – Sehnsucht Heimat“. Was schon andeutet, dass es nicht nur um Heimat geht, sondern auch um eine Entfernung von ihr, im doppelten Sinne sozusagen, als Distanz, aber auch als ihre Negation. Was zunächst einmal plausibel im Sinne einer Begriffsklärung sein könnte, weil Heimat, siehe oben, immer auch über Abgrenzung zu definieren ist.

Bei einer näheren Sichtung des Programms fallen dabei vor allem zwei Dinge auf: Erstens gibt es da ein paar echte Kracher zu bestaunen. Zum Beispiel liest der große Josef Bierbichler am 30. April aus seinem ersten Roman „Mittelreich“ – ein Titel, der so herrlich schillert wie – zweitens – das Konzept des Themenschwerpunkts. Das unschärfer wird, je näher man ihm kommt. Denn: „Mittelreich!“ spielt zwar gewissermaßen in der Heimat. Aber eigentlich geht es da doch eher um das, was dort stattfindet, von der „Hitlerei“ über den Filz bis zur Flucht in die Stadt. Gewiss, das lässt sich auf Heimat beziehen, aber es wirft auf andere Dinge weit mehr Licht als auf sie.

So auch das am Vorabend im Rahmen einer Lesung vorgestellte Buch von Mark Terkessidis und Tom Holert, das der Reihe ihren Namen lieh: „Fliehkraft“ heißt es und untersucht „Gesellschaft in Bewegung – von Migranten und Touristen“. Was aber Menschen dazu bewegt, ihre Heimat zumindest temporär zu verlassen, lässt sich meist eher aus politischen und ökonomischen Bedingungen erklären als aus einem irgendwie gearteten Verhältnis zu dem Flecken Erde, von dem aus sie aufbrechen.

„Krieg – Stell dir vor, er wäre hier“, das zum Auftakt von „Fliehkräfte – Sehnsucht Heimat“, heute wieder aufgenommen wird, stellt unsere Perspektive auf Kriegsflüchtlinge per Umkehrung in Frage. Auch das – eigentlich ein anderes Thema.

Aber ein paar Fragen bleiben: Wie viel Abstraktion verträgt ein Thema, bis es beliebig wird? Und: Tut man den einzelnen Programmpunkten einen Gefallen, wenn man sie mehr oder weniger willkürlich einem ihnen eher fremden Thema subsumiert?

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