berliner szenen Alles strippt

Reizende Achsellocken

In den Mittel-80ern war ich mal zu Besuch in Berlin, eine aufgeregte 16-jährige Provinzmaus mit blöder Osnabrück-Brille, und sah in einer verruchten Kreuzberger Bar eine Frau stehen, welche ihr komplett asymmetrisches Outfit mit einer nackten Brust vervollständigt hatte. Die war ihr unten aus dem kurzen U-Boot-Ausschnitt-Top gerutscht. Das haute mich um, eine Weile glaubte ich, man trüge das hier so. Später wurde mir klar, dass es sich eher um einen Toilettenfehler handelte.

Barbusige Frauen sind in den Kneipen, in die ich gehe, sehr selten. Nur in letzter Zeit hat ihre Dichte wieder zugenommen – an drei Wochenenden hintereinander habe ich jetzt Burlesque-Tänzerinnen gesehen, die sich in den abendlichen Ablauf eingeschmuggelt hatten: Die reizende Lady Ace aus New York tanzte erst in der Bar jeder Vernunft, dann letzte Woche im Roadrunners Paradise zwischen den loungig-einschläfernden Jazz-Sets von Sven-Ake Johansson – aber das war so schnell vorbei, dass die spießigen Charlottenburger Jazzfans nicht mal Zeit fanden, „Da! Nackte Frau!“ zu rufen.

Und am Donnerstag wollte ich, randvollgedröhnt mit modernem, hervorragendem Glampogo, schon gehen, als im 103 bei Alex Hackes „Big Bang!“-Konzertpaket Michelle Carr auftrat, eine Burlesque-Königin aus Los Angeles, die sich erstaunlicherweise nahtlos in den Rockrahmen einfügte: Sie trug den würdevollsten und gleichzeitig herablassendsten Gesichtsausdruck der Welt und zeigte ihren zutätowierten Frauenkörper samt sympathischen kleinen Achsellöckchen mit einer Mischung aus Coolness und Herausforderung. Vielleicht macht man das ja wirklich wieder so. Ich werde mal zu Hause ein paar Runden probestrippen. JENNI ZYLKA