Freuen auf Froschschenkel

Arte wird zum Vollprogramm. Das Schlechte: Auf dem deutsch-französischen Kulturkanal wird jetzt auch gekocht. Das Gute: Endlich ist Musikmoderatorin Charlotte Roche zurück im Fernsehen

Von Christian Bartels

Arte hätte gerne, dass Zeitungen sein Programm ab mittags und am Wochenende ab morgens abdruckten. Denn dann sähen Leser, dass am frühen Sonntagmorgen oft Opern laufen. Und erführen vom werktäglichen Lifestylemagazin. „Chic“ heißt es und berichtet von Vuitton-Boutiquen, Würstchen, dänischen Architekten und Porsches. Durch die Sendung führt zweisprachig die insgesamt fünfsprachige Valentina Sauca, die als in Rumänien geborene Deutsche mit Wohnsitz Paris dafür prädestiniert ist und sowohl in Erotikthrillern von Jean-Jacques Beineix als auch in behäbigen deutschen Degetofilmen spielte. Entzückend, wenn sie überlegt, ob im Deutschen auf Schönheit viel Wert gesetzt oder gelegt wird.

Bei Arte jedenfalls wird. Es gibt laufend noch mehr Wissenswertes über den Kultursender. Deswegen floriert auch das kostenpflichtige Programmheft so prächtig, dass bis zu fünf beigelegte Werbebotschaften für Gutverdiener herausfallen und sich das Hochglanzpapier jeden Monat noch fester anfühlt. 75.000 Exemplare werden derzeit verkauft – obwohl nichts drinsteht als Wissenswertes über Arte.

Im Zuge einer lang laufenden Reform wird der deutsch-französische Sender bereits vor der wirklich großen Reform zum Jahreswechsel 2006/07 22 Stunden Tagesprogramm reformiert haben. Das ist Christoph Hausers Werk. In der hoch komplexen Struktur, die sämtliche Schwierigkeiten des deutschen Rundfunkföderalismus mit den ebenbürtigen des zentralistischen französischen Modells kombiniert, wirkt der erste deutsche Programmdirektor seit Januar mit Geduld und Geschick.

Köchin mit Käfercabrio

Hauser ist ein zurückhaltender 49-Jähriger ohne öffentlich-rechtliche Fernsehfunktionärs-Selbstherrlichkeit. Karriereschritte des „Hauptabteilungsleiters Kultur“ beim SWR-Fernsehen und der Vorsitz in der „Programm-Gruppe Bildungsfernsehen“ in der Europäischen Rundfunkunion (EBU) scheinen ihn ziemlich konsequent zu Arte geführt zu haben.

Und doch wird der Kanal unter ihm zum Vollprogramm, in dem es inzwischen fast alles gibt, was es im Fernsehen halt so gibt; man muss den Slogan „So habe ich das noch nicht gesehen“ ganz doll auf „soo“ betonen. Mit historischen „Doku-Fiktionen“ stößt Arte zu den Sendern, die sich jeweils exclusiver BBC-Koproduktionen rühmen, also zu RTL, ProSieben, Vox, ARD und ZDF. 2006 kommt ein Quiz „mit neuer Bildsprache“. Die mittägliche Reihe „WunderWelten“ zeigt Reportagen aus fast allen Ländern der ersten Welt über fast alle Welt. Nicht zu verwechseln mit dem auf diversen Kanälen rotierenden Format „Welt der Wunder“. Unverwechselbarer macht es den Sender jedenfalls nicht, wenn Ry Cooders „Paris, Texas“-Musik Bilder vom Pazifik oder sonst was für hübschen Weltgegenden untermalt.

„Endlich wird auch bei Arte gekocht“, hieß es dann noch allenfalls halbironisch bei der Präsentation neulich im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Die Berliner Wienerin Sarah Wiener, die immer in der Kerner-Show kochte, wird „in einem knallroten Käfercabrio“ durch Frankreich touren und mit „viel Spontaneität“ lokale Nahrungsmittel pflücken oder fangen und dann zubereiten. Die eloquente Propagandistin der authentischen Küche ist schon gespannt auf Froschschenkel. Wahrscheinlich haben die Artemenschen da sogar Recht: Wofür der Sender sich bisher zu elitär war, das Kochen, mag tatsächlich sein, was deutsches Publikum am meisten an Frankreich interessiert.

Kette der Kreationen

Um dem immer noch sympathischsten Öffentlich-Rechtlichen aber kein Unrecht zu tun: Der Begriff „Innovation“, den Programmchef Hauser gern benutzt, ist durch inflationären Gebrauch abgenutzt, und das viel schönere „Chaîne de Création“ lässt sich halt nicht attraktiv übersetzen. Nicht ohne viel Wert auf Schönheit zu legen, geht Arte in den Spagat zwischen „Durchsehprogramm“, das wie alle anderen mit idealerweise täglichen Formaten zum täglichen Einschalten verführen möchte, und „Einschaltprogramm“. Das Gegensatzpaar prägte ebenfalls Hauser. Und in den kunstgewerblichen Sender-Selbstdarstellungen des immer umfangreicheren Programms gehen echte Einschaltimpulse mitunter unter. Etwa, dass es künftig „Trashfilme“ von Russ Meyer, Mario Bava und Will Tremper gibt, die im freien Fernsehen sonst nicht laufen. Oder die Themenabende, die davon leben, dass man einzelne einschaltet und andere eben nicht. Und dass Arte Charlotte Roche geholt hat, für die all die öffentlich-rechtlichen Kerner- und Beckmann-Sender nach der Abwicklung von Viva keinen Platz hatten.

Die Ausweitung des Programms in mittägliche Regionen, die wenig schadet, aber gewiss nichts ist, wofür deutsche Fernsehnutzer gern noch eine Rundfunkgebühren-Erhöhung in Kauf nähmen, hat primär mit dem anderen Arte-Spagat zu tun: Die Franzosen wünschten den Ausbau zum Tagesprogramm, weil es dort durch Digitalfernsehen viel neue Konkurrenz gibt, und sie bezahlen das auch. Das hatte der deutsche Teil der Arte-Chefetage vor lauter Enthusiasmus beinahe vergessen zu erwähnen.

Zum Schluss ein Insidertipp von Andreas Schreitmüller, Redaktionsleiter für Spiel-, Fernseh- und Trashfilme: Den Unterschied zwischen Arte und anderen Programmen, den „sieht man besonders gegen 18.00 Uhr“.