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Rätselhaftes„Vielleicht ist das etwas Deutsches“

Stefan Heine beliefert seit Jahren Zeitungen und Zeitschriften mit Rätseln. Dass das Zahlenrätsel Sudoku nach Deutschland kam, ist auch ihm zu verdanken.

Rätsel lösen zu wollen unterscheidet den Menschen vom Tier: Glaubt zumindest der Rätselmacher Stefan Heine. Bild: Miguel Ferraz
Annika Stenzel
Interview von Annika Stenzel

taz: Herr Heine, warum rätselt der Mensch?

Stefan Heine: Dazu habe ich eine wilde These. Das Rätselmachen und -lösen ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen Tier und Mensch. Das ist bestimmt nicht der einzige Unterschied, aber ein wichtiger. Das Reh will ja nicht wissen, was hinter dem Wald ist. Es entwickelt keine Werkzeuge oder stellt seine Ernährung um. Aber das ist ja das, was der Mensch macht. Und alles, was man noch nicht weiß, ist ein Rätsel. Wenn man nicht weiß, wie man eine Nuss aufkriegt, und man nimmt einen Stein und haut sie auf, hat man ein Rätsel gelöst.

Das können manche Tiere aber auch.

Aber nicht in dem Maße, wie ein Mensch das kann. Neugier ist beim Rätseln auch sehr wichtig. Und beim Sudoku ist es auch so, dass es darum geht, dass man es voll macht. Vielleicht ist das etwas Deutsches, dass man Ordnung ins Chaos bringt und dass man etwas fertig bringt. Auch beim Kreuzworträtsel ist es oft so, dass ein Wort fehlt. Das macht unzufrieden.

Was macht denn ein gutes Rätsel aus?

Dass es Spaß macht, dass es eindeutig ist, dass man es lösen kann. Und klar, beim Kreuzworträtsel, was ja eigentlich Schwedenrätsel heißt, da gibt es ein paar Sachen: Erst mal muss der Wortschatz nett sein, es dürfen keine doofen Fragen sein. Es muss eine gute Mischung sein aus Synonymen und Wissen.

Wie wird man Rätselmacher?

Ich bin durch Zufall dazu gekommen. Ich hatte ein Marktforschungsinstitut und eines Abends waren wir zum Grillen bei der Mutter meines Partners. Sie erzählte, dass sie ihren Kummerkasten eingestellt hatte. Sie hatte diesen Kummerkasten sieben Jahre für ein Anzeigenblatt geschrieben. Da haben Leser Fragen gestellt und sie hatte immer recht lange geantwortet, das war schön zu lesen. Ich fragte sie, warum sie die Texte nicht auch anderen Zeitungen anbietet. Und sie sagte: „Ich höre ja auf, weil ich keine Zeit mehr habe.“ Und dann haben mein Partner und ich uns überlegt, dass wir das einfach mal ausprobieren.

Was ausprobieren?

Diese Texte zu verkaufen. Wir haben uns dann die Adressen von etwa 700 Anzeigenblättern besorgt, eine kleine Firma gegründet, eine Faxantwort gestaltet und ein Muster rausgeschickt und waren ganz erstaunt, dass wir nach einer Woche drei Abonnenten hatten, die das veröffentlichen wollten.

Aber wie kommt man vom Kummerkasten zum Rätsel?

Als das ein Erfolg zu werden drohte, meinte meine damalige Freundin: „Oh, da fange ich doch an, Horoskope zu schreiben, vielleicht wollen die das ja auch haben.“ Diese Horoskope haben wir dann mit angeboten und sie wurden noch viel mehr gebucht. Wir haben uns dann überlegt, was wir den Zeitungen und Zeitschriften noch zuliefern können, und Rätsel waren naheliegend. Dann kam noch das Fernsehprogramm dazu und neue Videokassetten, die herauskamen, CDs, Wetter und all so ein Krempel.

Das lief?

Ja, sehr gut sogar. Und irgendwann habe ich das Marktforschungsunternehmen verkauft und diese Firma ganz übernommen. Ich habe nur die Rätsel behalten und den ganzen anderen Kram beendet. Das ist jetzt 20 Jahre her. Seitdem mache ich Rätsel.

Für wie viele Zeitungen in Deutschland?

So ungefähr 400. Und nicht nur in Deutschland, sondern überall, wo deutsch gesprochen wird, also auch für Chile oder Gran Canaria. Wie viele Rätsel das genau sind, kann ich nicht sagen, so an die tausend …

Und bekommen alle die gleichen Rätsel?

Nein, seit man Rätsel am Computer machen kann, ist das nicht mehr so. Es ist für uns einfacher, das immer wieder neu zu machen, anstatt zu schauen, wo das Rätsel schon mal drin war. Dazu kommt die Problematik, dass wir kontinuierlich am Wortschatz arbeiten. Zum Beispiel war Philipp Lahm bis vor kurzem Nationalspieler, nun ist er eben ehemaliger Nationalspieler.

Muss man eigentlich schlau sein, um ein gutes Kreuzworträtsel zu lösen?

Nein, so viel Wissen braucht man gar nicht, das meiste sind Synonyme, auch viele Abkürzungen sind dabei, man braucht oft ein sehr viel spezielles Kreuzworträtselwissen. Es gibt so ein paar Klassiker wie den südamerikanischen Goldhasen oder den Schutzapostel der Grönländer, den spanischen Grenzfluss oder den germanischen Wurfspeer. Das sind Worte, mit denen man im allgemeinen Leben gar nichts zu tun hat, die man aber in jedem Kreuzworträtsel wiederfindet und die jede Oma aus dem Effeff dort einträgt.

Wie hat sich das Rätselmachen verändert, seit Sie anfingen?

Früher hat man Schwedenrätsel noch mit der Hand gemacht, zumindest zum großen Teil, und ich kann nicht behaupten, dass mir das eine große Freude war. Heute machen wir das meiste mit dem Computer.

Lösen Sie selbst noch Rätsel?

Na klar, ich muss zum einen kontrollieren, was ich tue, und da ich seit fast zehn Jahren ehrenhalber die Rätsel der Deutschen Sudoku-Meisterschaft mache, muss ich sie auch lösen können und gucken, ob die gut sind und ob sie Spaß machen.

Sie gelten als derjenige, der Sudoku nach Deutschland gebracht hat. Stimmt das?

Nein, das würde ich so nicht sagen. Ich habe ordentlich dazu beigetragen. Ich habe Sudoku schon 1999 im Programm gehabt und der Hype war 2005. Ohne diesen Hype, der im Ausland entstanden ist, wäre Sudoku nie nach Deutschland gekommen.

Was ist denn der Suduko-Hype?

Ein Freund aus London rief mich damals an und sagte: „Komm mich besuchen und guck dir mal an, was hier passiert.“ Das war Ende 2004 oder Anfang 2005 und er sagte: „Die Leute sind nicht ganz dicht. In Bus und Bahn ist es überall still, sie sitzen über Büchern und Zeitschriften und rätseln, irgend so ein komisches Zahlenrätsel.“ Und dann bin ich gleich rübergeflogen und war in einem Frühstücksladen. Da waren 15 Leute inklusive der Bedienung und – kein Witz – es war totenstill. Alle, auch die Bedienung, haben Sudoku gelöst. Und im Februar waren die Rätsel im Guardian und in anderen überregionalen Tageszeitungen, nur in Deutschland war noch nichts davon zu spüren.

Und wie schwappte das zu uns?

Ich habe dann meine Kunden alle angerufen und gesagt: „Hier gibt es ein neues Rätsel und das wird auch in Deutschland beliebt werden.“ Und die sagten dann so: „Nee, lass uns in Ruhe, wollen wir nicht.“ Und zwei Monate später, als alle anfingen, darüber zu berichten, da riefen sie wieder an und sagten: „Herr Heine, wir brauchen dringend so ein japanisches Rätsel.“ Und so ging es auch hier los.

Und nun gibt es sogar Weltmeisterschaften.

Im Winter 2005 habe ich zusammen mit der BZ in Berlin die erste deutsche Sudoku-Meisterschaft ausgerufen, die war damals noch sehr klein und war eigentlich eine kleine Berlin-Meisterschaft.

Wie funktioniert so eine Meisterschaft?

Das geht online los, mit einem Vorentscheid, also einer Qualifikation. Und die Besten aus diesem Wettbewerb werden dann eingeladen in die Endrunde. Die ist dieses Jahr sogar mal in Hamburg.

Und die Rätsel machen Sie?

Ja, seit ein paar Jahren mache ich sie mit einem guten Rätselmacher aus Holland zusammen.

Selber mal mitgemacht?

Ne. Oh Gott, neee.

Warum nicht?

Weil ich viel zu langsam bin. Das sind Nerds, die sind alle sehr speziell. Mir sind diese Menschen sehr angenehm und das ist jetzt meine zehnte Weltmeisterschaft, zu der ich fahre. Aber manche haben schon autistische Züge, oder rennen weg, wenn man sie anspricht. Ich trainiere aber die deutschen Teilnehmer.

Wie kann man sich so ein Training vorstellen?

Zwei Wochen vor Beginn einer Meisterschaft wird bekanntgegeben, was für Rätsel dabei sein sollen, also spezielle Sudokus. Und dann muss ich mir Sudokus ausdenken und die Teilnehmer lösen die.

Sitzen Sie dann mit den Teilnehmern in einem Zimmer und rätseln?

Ja, letztes Jahr war das so. Eigentlich müssen das die Teilnehmer nicht zusammen machen, weil ich denen ja die Rätsel maile, und dann übt jeder hoffentlich alleine für sich. Aber es gibt auch Teamrunden, die gemeinsam gelöst werden müssen. Und da muss man lernen, wie man innerhalb des Teams kommuniziert, weil man nicht sprechen und keine Notizen machen darf. So etwas kann man trainieren.

Sie sind also der Nationaltrainer des Sudoku?

Richtig. Der Jogi Löw des Sudoku.

Gibt es einen Starkult um Sie?

Nein. Die Teilnehmer wissen ja alle, dass ich die Sudokus nicht so schnell lösen könnte wie sie selbst. Da gibt es kein jubelndes Publikum, das ist eher eine Nerd-Veranstaltung. Wenn der Wettbewerb losgeht, gibt es für mich nicht mehr viel zu tun. Ich sitze dann mit den anderen Captains rum und tausche mich über Rätsel aus: Was läuft gut in Usbekistan?

Sind Sie in Deutschland der Rätsel-Monopolist und können Ihre Preise selbst diktieren?

Nein, das wäre schön. Es gibt hier drei bis vier große Rätsel-Firmen und so, wie es den Tageszeitungen gerade so geht, ist es nicht so, dass ich da die Preise hochfahren könnte, eher im Gegenteil. Und auch online verdient man mit Rätseln kein Geld, da gibt es viel zu viele Anbieter.

Aber Sie können davon leben?

Ja, allerdings nicht von der Meisterschaft, die kostet.

Echt?

Ja, das ist mein Hobby und ich mache das auch wegen der Reputation. Das macht mir total viel Spaß. Das ist wie eine Familie, da treffen sich 300 Idioten in der Pampa und haben Spaß.

Was ist Ihre genaue Berufsbezeichnung?

Rätselmacher. Aber ich mache das nicht alleine, ich habe drei Angestellte, die das mit mir zusammen machen, ich sitze nicht allein in einem kleinen Kämmerchen.

Wird man damit reich?

Nein. Aber Freiheit ist ja auch ein Reichtum. Ich kann das hier machen, oder in unserem Wochenendhäuschen, ich verdiene nicht schlecht, bin zufrieden damit, aber meine Frau arbeitet auch. Ich kann mein Leben aber trotz 60-Stunden-Woche so gestalten, dass ich meine Kinder viel sehe und dass es mir viele Freiheiten bietet.

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