Hat Joschka Fischer im Bundestag gelogen?

PUTZGRUPPE Am Ende brannte ein Polizist: Der „Stern“ rollt die militante Vergangenheit des Ex-Außenministers noch mal auf. Und zeigt, dass der Grüne ein recht flexibles Verhältnis zur Wahrheit hat

BERLIN taz | Am Abend des 9. Mai 1976 versammelten sich Frankfurter Militante, angeführt von Joschka Fischer, um Rache zu nehmen. Rache für das RAF-Mitglied Ulrike Meinhof, die sich in Stammheim selbst getötet hatte. Damals kursierte bei den Militanten das Gerücht, der Staat habe Meinhof ermordet. Die Frankfurter Putzgruppe diskutierte, ob sie bei der Demo am 10. Mai Brandsätze verwenden sollte. Sie taten es: Am 10. Mai wurde der Polizist Jürgen Weber dabei lebensgefährlich verletzt.

Joschka Fischer musste sich 2001, damals noch grüner Außenminister, für seine Teilnahme an gewalttätigen Aktionen rechtfertigen. Damals beteuerte Fischer, er sei stets gegen den Einsatz von Molotowcocktails gewesen. Im Bundestag erklärte er: „Ich habe niemals Molotowcocktails geworfen, und ich habe auch nicht dazu aufgerufen, Molotowcocktails zu werfen.“ Im Übrigen könne er sich an den 9. Mai 1976 leider nicht erinnern.

Im neuen Stern liest sich dies etwas anders. Michael Schwelien, später Redakteur der Zeit und Autor einer Biographie über Fischer, war laut eigenem Bekunden am 9. Mai 1976 bei der Versammlung der Militanten dabei. Laut Schwelien hat Fischer „die Leute regelrecht ermuntert, er hat die Stimmung aufgeheizt“. Wenn Schweliens Erinnerung richtig ist, hat Fischer den Bundestag 2001 belogen.

Auch eine Aussage des Ex-Terroristen und Frankfurter Ex-Militanten Hans-Joachim Klein steht im Widerspruch zu Fischers Beteuerungen. Klein hatte schon 2007 erklärt: „Wenn Sie in der Putzgruppe waren, haben Sie irgendwann auch Molotowcocktails geworfen“ – und zwar gezielt gegen Polizisten. Dies sei in der Putzgruppe stets „im Konsens“ beschlossen worden.

Dass ausgerechnet Joschka Fischer, damals Leitwolf der Frankfurter Militanten, von diesem Konsens nichts mitbekommen haben soll, ist eher unwahrscheinlich. Fischer, heute Lobbyist für verschiedene Konzerne, schweigt zu den Vorwürfen.

STEFAN REINECKE