„Ich hab’s nicht glauben können“

WELTHUNGERHILFE Es ist etwas ganz anderes, selbst Teil des Nothilfeplans zu sein, sagt Regina Tauschek

■ 43, ist Finanzverwalterin der Deutschen Welthungerhilfe in Port-au-Prince. Die Österreicherin ist nur durch Zufall nicht Opfer des Erdbebens geworden. Sie wohnte im Hotel Montana, Anlaufpunkt für Diplomaten und Presseleute, das völlig zerstört ist.

taz: Frau Tauschek, Sie waren nach dem Erdbeben noch einmal in Ihrem Appartement im Hotel Montana. Was haben Sie gefunden?

Regina Tauschek: Ich stand vor einer massiven Betonplatte. Mein Appartement ist auf eine Gesamthöhe von vielleicht 20 Zentimetern zusammengeschrumpft. Ich hab’s nicht glauben können. Ich hatte eigentlich gehofft, dass ich meinen Pass, mein Bargeld und vor allem meine Festplatte herausholen kann. Ich besitze nur noch das, was ich derzeit am Leibe trage, und die Geschäfte sind geschlossen. Aber Bonner Kollegen haben mir Anziehsachen mitgebracht.

Sie haben nur überlebt, weil Sie auf der Arbeit waren?

Wir hatten schon Dienstschluss, aber ich war noch im Büro, um den Jahresfinanzbericht fertigzustellen. Wäre ich in meinem Appartement gewesen, hätte ich keine Chance gehabt zu entkommen.

Wie haben Sie das Beben erlebt?

Ich saß im ersten Stock in meinem Büro gemeinsam mit meiner haitianischen Kollegin. Normalerweise schließen wir um 16 Uhr. Es waren heftige Stöße. Ich bin aufgesprungen und in den Garten gerannt. Ich war mir ziemlich sicher, dass das Haus zusammenbricht. Ich musste schauen, dass ich beim Laufen die Balance halten konnte.

Wie halten Sie das aus?

Mir war sofort klar, dass es eine riesige Katastrophe ist. Alle Telefone waren sofort tot, es gab keine Internetverbindung mehr. Es war ein totales Chaos auf der Straße. Ich wollte sofort ins Hotel Montana fahren, denn ich war mir völlig sicher, dass dort die Telefone und die Internetverbindung klappen würden.

Wieso?

Weil im Hotel Montana immer alles funktioniert hat. Wir hatten immer 24 Stunden am Tag Strom. Wenn es Katastrophen, Unruhen, Überschwemmungen in Haiti gab, haben sich im Montana die Politik, die ganzen internationalen Organisationen, die Presseleute getroffen. Für mich bestand überhaupt kein Zweifel: Ich gehe ins Hotel und fange an, per Internet über das Ausmaß der Katastrophe zu informieren und mit meiner Mutter und meinen Kollegen in Bonn in Verbindung zu treten. Ich habe mich mit dem Wagen durch die Menschenmassen gequält und gedrängelt. Tote wurden aus den Trümmern gezerrt, Menschen durch die Straßen getragen, denen Gliedmaßen fehlten. Aber ich habe es nicht geschafft, weil die Straße irgendwann von Trümmern völlig blockiert war.

Haben Sie schon jemals so eine Katastrophe erlebt?

Nein, nicht in dieser Form. Ich hatte 2001 nach dem Erdbeben in Bujh, in Indien, gearbeitet, wo es ein Beben mit 20.000 Toten gab. Damals bin ich einige Monate nach der Katastrophe gekommen, um ein Häuser-Wiederaufbauprojekt zu implementieren. Hier in Haiti ist es für mich anders. Zum einen ist das Ausmaß der Katastrophe viel größer, und vor allem habe ich hier drei Jahre gelebt. Es ist eine ganz andere Wahrnehmung, jetzt Teil des Notplanes der Welthungerhilfe zu sein. Wenn man nach der Katastrophe kommt, sieht man die Situation doch viel rationaler, als wenn man über Jahre mit den Menschen zusammengelebt hat und die Stadt kennt.

INTERVIEW: HANS-ULRICH DILLMANN