: Im Dämmerzustand
0:0 gegen Hannover: Bayer Leverkusen schickt Fans und Angestellte mit einem flauen Gefühl in die Winterpause
LEVERKUSEN taz ■ Viele Zuschauer hatten die BayArena längst kopfschüttelnd verlassen und verpassten so die aufregendste Szene eines Spiels, das bis dahin ein einziger dumpfer Dämmerzustand gewesen war. Eine Szene aus dem grauen Nichts, in der letzten Spielminute: Hannovers Außenverteidiger Tarnat kontrollierte nach einer Ecke den Ball und passte ihn zu Altin Lala, der letzten Absicherung an der Mittellinie, da sprintete der blutjunge Leverkusener Stürmer Josip Tadic in diesen lässigen Rückpass, erreichte ihn tatsächlich vor Lala und hatte auf einmal nur noch Hannovers Keeper Robert Enke vor sich. Tadic, der zu Saisonbeginn von RK Oseik gekommen war und mit seiner Einwechslung in der 85. Minute sein Bundesliga-Debüt feierte, läuft also völlig allein auf den Keeper zu, „er hatte sehr lange Zeit nachzudenken, und ich auch, aber er hatte den Druck“, erzählt hinterher Enke – und der Kroate scheitert. Enke, der den Winkel geschickt verkürzt hatte, hält den Schuss mit seiner rechten Pranke und damit auch das 0:0-Unentschieden. Und keine Szene hätte diese Misere Bayer Leverkusens in diesem Herbst besser beschreiben können, diese Tristesse, die Trostlosigkeit, dieses Mittelmaß.
Was ist mit dieser Mannschaft passiert, die Vorstandschef Wolfgang Holzhäuser nach dem Auftaktsieg in Frankfurt sehr voreilig „auf Augenhöhe“ mit den großen Bayern wähnte, die aber jetzt, nach Abschluss der Vorrunde, mit nur 19 Punkten eine bestürzende Bilanz aufweist? Die jeglichen spielerischen Esprit vermissen lässt, die Akteure wie Berbatov, Schneider oder Juan versprechen. Und die nur deswegen nicht in Abstiegsgefahr schwebt, weil sich Kaiserlautern, Duisburg und Köln geradezu mit Todessehnsucht gen Zweite Liga stürzen.
Bayer-Trainer Michael Skibbe, der Klaus Augenthaler und Interimscoach Rudi Völler nach sieben Spieltagen beerbte, das Erreichen des UEFA-Cups anvisierte und seitdem nur einen mickrigen Sieg aus zehn Spielen verbuchte, hat am Samstag recht schonungslose Antworten auf den „verdammt miserablen“ Zustand des Teams gefunden. „Der Mannschaft fehlt es an der fußballerischen Reife“, sagte der 40-Jährige, und er zählte noch einmal auf, auf wen er zurückgreifen musste an diesem grauen Nachmittag: Auf zwei A-Jugendliche (Castro und Tadic), dazu auf „zwei Spieler, die aus der zweiten Liga kommen“ (Fritz und Rolfes). Vor allem in der Abwehr, so Skibbe, habe er bis auf Juan „nichts Gestandenes“, und so zog er das desavouierende Beispiel des finalen Angriffs durch Tadic heran, um zu beweisen, dass dem Team „taktisch eine ganze Menge fehlt“. Denn Tadic waren fünf Leverkusener hinterher gestürmt, so dass nun Hannover plötzlich einen gefährlichen Konter startete. „Da stehen wir dann mit Vier gegen Vier“, verzweifelte Skibbe, „das darf einfach nicht sein“.
Noch düsterer stimmt Skibbe die Erkenntnis, dass die jungen Spieler noch nicht über die nötige physische Robustheit und die Präsenz verfügen, um sich im harten Bundesliga-Alltag durchsetzen zu können. Auch deswegen hofft der Coach auf eine Rückkehr von Jens Nowotny, des „gestandenen Bundesligaprofis“, die nach den Prozessen der Vergangenheit allerdings unwahrscheinlich ist. Und so setzt Skibbe auf den schwedischen Neuzugang Frederic Stenmann (Djurgarden), der in Leverkusen im Januar die vakante Position des Linksverteidigers einnehmen wird. Und im Angriff soll der Stoßstürmer Papadopoulos den beiden formschwachen Berbatov und Woronin wieder Beine machen. Nach einer Lösung aller Leverkusener Probleme klingt das freilich nicht, zumal auch im zentralen Mittelfeld, das Schneider mehr schlecht als recht ausfüllt, die Alternativen fehlen. Die von Skibbe ausgegebene Devise, sich in der Winterpause zu „sammeln und zu finden und dann einen neuen Angriff starten“, klingt daher eher nach trotzigem Berufsoptimismus. ERIK EGGERS
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