20 Jahre lang im Dienste ihrer Majestät

Denis Donaldson, hochrangiger Sinn-Féin-Funktionär, wird als britischer Agent enttarnt. In den Sinn-Féin-Hochburgenlöst das Geständnis einen Schock aus. Irlands Regierung fordert eine Erklärung, London hat der Affäre „nichts hinzuzufügen“

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Er habe zwanzig Jahre lang für die britischen und nordirischen Geheimdienste gearbeitet, gab Denis Donaldson am Freitagabend zu. Der 55-jährige hochrangige Funktionär von Sinn Féin, dem politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), war enger Berater des Parteipräsidenten Gerry Adams und ein Freund von Bobby Sands, der 1981 im Hungerstreik starb.

Er hat mit beiden in den Siebzigerjahren eine Zelle in Gefangenenlager Long Kesh geteilt, wo er wegen IRA-Mitgliedschaft einsaß. Zuletzt war er Chef des Sinn-Féin-Büros im Belfaster Schloss Stormont, dem Sitz der nordirischen Mehrparteienregierung. Sie wurde 2002 suspendiert, woran Donaldson nicht unbeteiligt war. Die nordirische Polizei hatte bei einer Razzia im Sinn-Féin-Büro Dokumente gefunden, die Namen und Adressen von Polizeibeamten, Gefängniswärtern und Politikern enthielt.

Der Fall wurde als „Stormontgate“ bekannt. Donaldson und zwei Mitarbeiter wurden wegen Spionage und „Besitz von Dokumenten, die nützlich für Terroristen sein können“, verhaftet und gegen Kaution freigelassen. Die protestantisch-unionistischen Parteien, die für die Union Nordirlands mit Großbritannien sind, drohten, die Regierung platzen zu lassen. London übernahm wieder die Direktherrschaft.

Vor zehn Tagen gab die Staatsanwaltschaft überraschend bekannt, dass das Verfahren gegen Donaldson und die beiden Mitangeklagten gar nicht erst eröffnet werde, weil es nicht im öffentlichen Interesse sei. Donaldson und Adams feierten diese Entscheidung in einer Pressekonferenz als Rehabilitierung: Der Spionagering in Stormont sei eine Erfindung der Geheimdienste gewesen, sagten beide.

Donaldsons Eingeständnis, als britischer Agent gearbeitet zu haben, wirft nun ein anderes Licht auf den Fall. Donaldson wurde am Freitag aus Sinn Féin ausgeschlossen, inzwischen ist er untergetaucht. „Ich wurde in den Achtzigerjahren rekrutiert, als ich mich in einer schwierigen Phase meines Lebens kompromittiert hatte“, sagte er zuvor in Dublin in einer Presseerklärung, nachdem die Polizei ihn gewarnt hatte, dass er kurz vor der Enttarnung stehe. „Seitdem habe ich für die Geheimdienste gearbeitet und wurde dafür bezahlt. Ich bedauere meine Aktivitäten zutiefst. Ich entschuldige mich bei denjenigen, die als Folge dieser Aktivitäten leiden mussten, sowie bei meinen früheren Genossen und bei meiner Familie, die Opfer geworden sind.“ Donaldson bestreitet jedoch weiter die Existenz eines Spionagerings in Schloss Stormont.

Die unionistischen Parteien verlangten am Wochenende eine unabhängige Untersuchung von „Stormontgate“, die irische Regierung fordert bei dem heutigen Treffen mit Nordirland-Minister Peter Hain eine Erklärung. Irlands Premier Bertie Ahern sagte, der Fall sei „so bizarr, wie man sich kaum vorstellen“ könne. Die Londoner Regierung erklärte dagegen, sie habe zu der Affäre nichts hinzuzufügen.

Donaldsons Geständnis hat in den Sinn-Féin-Hochburgen in Nordirland einen Schock ausgelöst. Man hat den Fall von Freddie Scapaticci, Sicherheitschef der IRA, noch in Erinnerung. Der wurde vor zwei Jahren als britischer Agent mit Codenamen „Stakeknife“ enttarnt. Viele vermuten, dass sich hinter „Stakeknife“ eine Reihe von Agenten verbirgt. Die BBC glaubt, dass weitere Enthüllungen anstehen: Den Stormont-Spionagering habe nicht Donaldson, sondern ein anderer hochrangiger Agent in Sinn Féin verraten.

Niemand weiß, was Donaldson verraten hat. Ich kenne ihn seit 30 Jahren. Damals arbeitete ich zwei Jahre in Belfast. Es war in Deutschland die Zeit der Irlandkomitees, und ich hatte Kontakt zu Sinn Féin aufgenommen. Donaldson und ich trafen uns häufig auch privat. Seitdem war der Kontakt nie abgerissen. Dann, zehn Jahre später, als Donaldson seine Arbeit für die Geheimdienste aufgenommen hatte, wurde ich bei jeder Einreise nach Großbritannien verhaftet. Der Haftbefehl berief sich auf Antiterrorismusgesetze, ohne einen konkreten Vorwurf. Nach ein paar Stunden durfte ich wieder gehen. Ich wunderte mich damals. Jetzt kenne ich den Grund.