Hessen verkauft Universitätsklinikum

Die Privatisierungswelle erreicht die Unimedizin: Weil die Investitionen in die Klinikstandorte der Unis Gießen und Marburg zu teuer werden, gibt Hessen die Einrichtungen an das private Rhön-Klinikum ab. Forschung und Lehre weiter unabhängig?

AUS WIESBADEN KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Roland Koch (CDU) wollte wieder mal der Erste sein, und das sollten auch alle erfahren. Also bestellte er sein Kabinett an einem Samstag ein, um einen aus seiner Sicht richtungsweisenden Beschluss zu fassen. Hessens Ministerpräsident verkauft die beiden inzwischen fusionierten Universitätskliniken Marburgs und Gießens an einen privaten Gesundheitskonzern. Die Rhön-Klinikum AG wird, wenn das Landesparlament dem Verkauf zustimmt, bald Eigentümer des fünftgrößten Uniklinikums Deutschlands sein.

Hintergrund für die Privatisierung zu 95 Prozent – fünf Prozent der Anteile behält das Land – sollen die Kosten für die anstehende Sanierung der veralteten Klinik in Gießen sein, die sich auf 200 Millionen Euro belaufen sollen. Diese Investitionssumme könne Hessen alleine nicht mehr aufbringen, hieß es. Zudem hätte die Uniklinik in Gießen Jahr für Jahr Verluste in Höhe von 10 Millionen Euro verursacht, die Uniklinik in Marburg habe lediglich kostendeckend gewirtschaftet. Wissenschaftsminister Udo Corts (CDU) sagte, Hessen übernehme mit der Privatisierung der Universitätskliniken die „Vorreiterrolle bei der Modernisierung der Hochschulmedizin in Deutschland“.

Durch den Verkauf der Kliniken kommen 112 Millionen Euro in die Landeskasse. Der Käufer verpflichtete sich, in den nächsten Jahren insgesamt 367 Millionen Euro zu investieren. Alleine für den Bau eines internationalen Zentrums zur Tumorbekämpfung (Strahlentherapie) würden von den Rhön-Kliniken 107 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Die Betriebsräte der Universitätskrankenhäuser und die Gewerkschaften befürchten einen massiven Stellenabbau. Sie verweisen auf die gerade erfolgte Privatisierung von Landeskrankenhäusern in Hamburg. Dort würden jetzt rund 10.000 Stellen gestrichen. Hessen will dem vorbauen: Das Land hat betriebsbedingte Kündigungen in den künftigen Privatkliniken bis 2010 ausgeschlossen. Ministerpräsident Koch will auch garantieren, dass Forschung und Lehre frei bleiben würden und sich nicht kommerziellen Erwägungen unterordnen müssten.

Dafür will die Landesregierung sorgen, indem sie einerseits ihre Landeszuschüsse in die medizinischen Fakultäten Gießens und Marburg aufrechterhält. Zusätzlich steckt Koch 100 Millionen Euro aus dem Verkaufserlös in eine „Stiftung zur Förderung von Forschung und Lehre“ – auch dieses Geld soll dem Unibetrieb in der Klinik zugute kommen. Auch die Käufer haben sich verpflichtet, jährlich wenigstens 2 Millionen Euro zusätzlich in die Aufrechterhaltung und den Ausbau von Forschung und Lehre zu investieren. Koch sieht ohnehin keinen Unterschied „zwischen der Aufgabenstellung eines Universitätsklinikums in privater Rechtsform und eines Universitätsklinikums in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft“.

Die Oppositionsparteien trauen dem allerdings nicht. Die Grünen sehen die Arbeits- und die Studienplätze in Gießen und in Marburg als gefährdet an. Der SPD-Landtagsfraktionsvorsitzende Jürgen Walter moniert darüber hinaus, dass noch gar nicht geklärt sei, ob der Käufer den Kaufpreis und die gewaltigen Investitionssummen überhaupt refinanzieren könne. 60 Millionen Euro jährlich müssten dazu erwirtschaftet werden – und das von einem noch defizitären Klinikkomplex.

Und die Patienten? Auch denen drohe mit der Privatisierung eine nur noch rein an den Kosten orientierte, womöglich mangelhafte medizinische Versorgung in einer ohnehin strukturschwachen Region. Grüne und SPD hatten zuvor für eine verstärkte Zusammenarbeit aller Krankenhäuser der Region als Alternative zur Privatisierung plädiert. Die Landesregierung dagegen glaubt zu wissen, dass die medizinische Versorgung „in der Region auf höchstem Niveau durch ein innovatives Medizinkonzept gewährleistet“ werde.