Angela Merkel, das Taktiktalent

Der EU-Gipfel hat sich auf einen Finanzplan geeinigt – dank einer geschickt vermittelnden Kanzlerin

Warschau hofft auf die Wiederbelebung der Allianz Frankreich, Deutschland, Polen

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Normalerweise leben europäische Regierungschefs gut damit, Wohltaten aufs eigene Konto zu buchen und sich bei unangenehmen Wahrheiten hinter Brüssel zu verstecken. Am vergangenen Freitag aber gerieten einige in Bedrängnis, als sie diesen Kurs bei den Finanzverhandlungen zu halten versuchten.

Das Ergebnis einer zermürbenden Nacht besteht aus einer Zahl: 862,3 Milliarden Euro, verteilt auf sieben Jahre. Für die Nettoempfänger, vor allem in den neuen Mitgliedsländern, ist das Ergebnis enttäuschend. Für die so genannten Nettozahler aber, die mehr in den Topf werfen, als sie herausbekommen, ist das immer noch mehr, als sie eigentlich geben wollen. Der britische Premier Tony Blair etwa konnte wählen, ob er als europafeindlichster EU-Präsident in die Annalen eingehen wollte – oder zu Hause wegen des verschenkten Britenrabatts kritisiert wird. Auch für die Chefs anderer Nettozahlerländer war dies ein schwieriger Tag. Der niederländische Premier Jan Peter Balkenende etwa dürfte keinen Moment vergessen haben, dass seine Wähler erst kürzlich Nein zur Verfassung sagten – weil ihnen das Projekt Europa zu teuer geworden ist.

Merkel hat die deutsche Parole vom „Zahlmeister Europas“ zwar nicht selbst geprägt, sondern von ihrem Vorgänger Schröder übernommen. Doch das half ihr wenig. Vor laufenden Kameras musste sie besorgten Journalisten immer wieder versichern, sie sei natürlich nach Brüssel gereist, um deutsche Interessen zu verteidigen. Zur gleichen Zeit hatte sie hinter den Kulissen einen Nachschlag von 13,2 Milliarden auf Tony Blairs ursprünglichen Vorschlag angeboten.

Die Bundeskanzlerin will ihre Wähler behutsam an neue Botschaften gewöhnen, das wurde schon bei ihrem ersten Gipfel-Auftritt deutlich. Ihr Angebot, Deutschland werde zu Gunsten der osteuropäischen Länder noch ein paar hundert Millionen Euro drauflegen, stellte sie nicht als letzten Ausweg dar, um ein Scheitern des Gipfels zu verhindern. Sie nutzte den verhältnismäßig bescheidenen Betrag als symbolischen deutschen Beitrag zur Osterweiterung. Damit erreichte sie zweierlei: Blair musste ebenfalls nachgeben, wollte er nicht am Ende als Gegner der osteuropäischen Neulinge dastehen. Zudem bedankte sich Polens neuer Premier Kazimierz Marcinkiewicz mit überaus freundlichen Worten, die sich bei Gelegenheit womöglich außenpolitisch nutzen lassen.

Mit vergleichsweise geringem finanziellem Einsatz hat Merkel viel erreicht. In Warschau hofft man bereits auf eine Wiederbelebung des so genannten Weimarer Dreiecks aus Deutschland, Frankreich und Polen. Großbritannien kann sich mit der Erkenntnis trösten, dass die Bundesregierung dafür ist, das EU-Budget mittelfristig zu modernisieren. Kommissionspräsident Barroso hat angekündigt, ab 2008 alle Haushaltsposten daraufhin zu prüfen, ob sie den politischen Zielen der Union noch angemessen sind. Als Folge könnten Bereiche wie Forschung, gemeinsame Außenpolitik, Kriminalitätsbekämpfung und Verbraucherschutz besser gefördert werden. Die Agrarbeihilfen würden mittelfristig auslaufen.

Das Parlament wird dem Finanzpaket wohl am Ende zustimmen. Es liegt zwar weit unter dem, was die Haushaltsexperten ursprünglich als Minimum gefordert hatten. Doch der Imageschaden weiterer Negativschlagzeilen aus Brüssel wäre viel größer. Stattdessen werden alle auf der Suche nach positiven Botschaften den Blick nach vorn richten: Auf eine grundlegende Haushaltsreform und auf eine Neubelebung des Verfassungsprozesses. 2009 wird nicht nur der Bundestag neu gewählt, sondern auch das Europaparlament. Es bleibt also noch etwas Zeit, um positive Botschaften in den Köpfen der Wähler zu verankern.