Chefdiplomat mit Würde und Substanz

Wieder einmal ist ein WTO-Ministertreffen glimpflich für den Süden ausgegangen. Wie schon in Seattle 1999 und in Cancún 2003 ist dies der Allianz zwischen der Weltbürgerbewegung und den Delegationen aus Asien, Afrika und Lateinamerika zu verdanken, die dem Liberalisierungsdruck von Europäischer Union und USA weitgehend widerstanden haben.

Dass die Länder des Südens im Kongresszentrum von Hongkong einiger auftraten als je zuvor, ist maßgeblich das Verdienst von Brasiliens Außenminister Celso Amorim. Bereits 2003, vor Cancún, gehörte der Chefdiplomat des brasilianischen Präsidenten Lula das Silva zu den Gründungsvätern der G 20, jener Gruppe großer Entwicklungsländer, die sich vor allem für ihre Agroindustrien stark machen.

Diskret sorgt er auch dafür, dass die Interessen der Kleinbauern und der ärmsten Länder Gehör finden – am Samstag kam es zur Allianz der G 20 mit den übrigen Entwicklungsländern. In Hongkong ist er endgültig zum Medienstar avanciert: „Er verkörpert Würde und Substanz“, schrieb die South China Morning Post. Und anders als mancher seiner Gegenspieler ist Amorim ein alter Hase auf dem glatten Parkett der Handelsdiplomatie.

Der zierliche, weißbärtige Karrierediplomat war vor seiner ersten Amtsperiode als Außenminister (1993/94) jahrelang für Handelsfragen zuständig. Ab 1995 wirkte er als ständiger Vertreter bei der UNO in New York und in Genf, danach als Botschafter in London.

Die Nominierung von Amorin zum Außenminister im Dezember 2002 war Lulas gelungenster Schachzug. Seitdem klagte Brasilien vor der WTO erfolgreich gegen die USA und die EU, die bei Baumwolle und Zucker die Freihandelsspielregeln der WTO eklatant verletzen. Die gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA, ein strategisches Projekt Washingtons, liegt seither ebenfalls auf Eis. Die Länder Südamerikas rückten näher zusammen: Vor einer Woche trat Venezuela der Zollunion Mercosur bei.

Gelassen, humorvoll und hart in der Sache – so hat sich der 63-jährige Vater von vier Kindern allseits Respekt verdient. Ebenso gut wie seine Kollegen kennt er die führenden Globalisierungskritiker. „Die Landwirtschaft ist der Motor der WTO-Verhandlungen – und der Marktzugang für uns der Zündschlüssel“, hatte Amorim in den letzten Wochen immer wieder betont und mit Zugeständnissen bei Industriegütern und Dienstleistungen gewinkt, wo die Multis auf weitere Marktöffnungen im Süden drängen. Die Zusage der EU, die Agrarsubventionen erst bis zum Jahre 2013 zurückzufahren, kritisierte er als „bescheiden“. GERHARD DILGER