Die klischeehafte Wirkung von Ecstasy

GEDACHTE FILME Wie korrekt zeigen Filme wilde Clubnächte? Wie bringt Amateurporno die Industrie in Bedrängnis? Was macht Godard bei Dick Cavett? Über „Gedachte Filme“ sprach man am Wochenende im Kreuzberger Basso

Die eigenen Feierenthusiasmen und Verpeiltheiten waren recht gut dargestellt

VON DETLEF KUHLBRODT

Ursprünglich war „Filmsquat“ der Name eines vom Buchladen und Verlag b-books veranstalteten Kurzfilmfestivals, das 2001 zum ersten Mal im Eiszeit-Kino stattgefunden hatte. Mit Filmen teils prominenter Autoren (Thomas Arslan, Harun Farocki), aber vor allem doch von Leuten aus dem eigenen, meist Kreuzberger Umfeld und der UDK. Man versuche mit dieser, durchaus auch politisch ausgerichteten Filmschau „nichts zu klären, sondern nur in diesem Raum sehr unterschiedliche Filmtypen und Szenen zu aktivieren: eine Behauptung, dass ‚Film‘ besetzt werden kann“. So hatte es zu „Filmsquat 2“ im Jahr 2002 geheißen. „Das noch einmal zu machen, ging nicht mehr“, sagt Stephan Geene von b-books heute. Das Programm von Filmsquat 3, „Gedachte Filme“, spiegle „die große und reale Schwierigkeit, zu beschreiben, was politische Bilder sind“.

Vorträge mit YouTube

Zwei Tage lang gab es also am vergangenen Wochenende im superangenehmen Basso in der Köpenicker Straße bei freiem Eintritt vor allem mehr oder weniger gut ausgearbeitete, von vielen Youtube-Schnipseln begleitete Vorträge. Manchmal war es so ähnlich wie ein autonomes, kulturwissenschaftliches Uniseminar – man will etwas anderes machen und landet doch in derselben Sprache. Nur darf man dabei rauchen und Bier trinken. „Wenn ich mir die umgangssprachliche Formulierung erlauben darf“, sagte Aljoscha Wescott irgendwann in seinem hochkomplexen Einführungsvortrag, „… and all these images out there, which belong to us?!“ betitelt, dem man irgendwann nicht mehr recht folgte, weil einfach zu viele Verweise, Zitate und Begriffe darin waren. Und weil er doch recht schnell sprach, geriet der anfängliche Verstehensfluss schnell ins Stocken.

Es ist ja so: Jemand sagt „Ikonoklasmen“, man muss dann erst mal kurz überlegen, was das ist, und der Vortragende ist dann schon wieder ganz woanders. Man könnte es vielleicht Kulturwissenschaftslyrik nennen, weil der Rhythmus ja trotzdem ganz schön ist. Später erinnert man sich eher an Bilder: wie der Vortragende also im schummrigen Licht da vorne neben einer großen Lampe sitzt, die aus 1001 Nacht zu kommen scheint, oder an Youtube-Schnipsel, die er an die Wand warf: den äußerst undeutlichen Blick über ein Dach, aufgenommen während der Unruhen im Iran aus dem letzten Sommer und ein mit aufgeregter Stimme vorgetragenes Gedicht dazu, oder an einen Ausschnitt aus der wunderbaren HBO-Serie „Mad Men“, die Anfang der 60er Jahre spielt und von einer New Yorker Werbeagentur handelt.

Die Filmemacherin Tal Sterngast verhaspelte sich selbst oft auf ganz angenehme Weise in ihrem Beitrag, der von kommunikativen Brüchen in medialen Gesprächen handelte. Es ging also etwa um Gesprächsrunden in der Dick-Cavett-Show aus den Siebzigern, wo sich Teilnehmer wie Peter Falk und Cassavetes dem Gespräch verweigerten, um selbst eine schöne, lustige Performance zu machen, oder um Godard zu Gast bei Cavett, der die Interviewsituation umkehrte.

Stephan Geene handelte in einem lehrreichen, teils frei gehaltenen Vortrag von Alejandro Amenabars Film „Abre los ojos“ (1997) und seinem amerikanischen Remake „Vanilla Sky“ (Cameron Crowe, 2001): Wie sich beide Filme voneinander abstoßen, dazwischen ein Raum entsteht, in dem wir jetzt mal auch bedenken, dass Penelope Cruz in beiden Filmen die Hauptrolle spielt und während des Remakes mit Tom Cruise zusammenkam. Auch ging es um ein dunkles Siegfried-Kracauer-Zitat, wonach im Foto das dargestellt werde oder werden könne, was von einer Person abzuziehen ist.

Frühere Verpeiltheiten

Um die Darstellung von Partys im Film ging es Alexis Waltz und Maximilian Linz. Einer der beiden trug einen lustigen Ernie-Pullover. Sie hatten Ausschnitte aus elf nachtlebenorientierten Filmen auf dreißig Minuten aneinandergeschnitten und wollten damit belegen, dass die „Diffusität und der sinnliche Reichtum selbst erlebter Feiersituationen“ in diesen Filmen nicht recht erfasst wird. Weil sie sich, wenn’s um die neunziger Jahre geht, zu sehr auf Drogeninitiationen Jugendlicher konzentrieren und vor allem Klischees abbilden.

Es ging mir ganz anders als den Vortragenden: Abgesehen von einer „Tatort“-Folge, in der Bela B. einen DJ spielt, fand ich die eigenen Feierenthusiasmen und Verpeiltheiten von früher gut dargestellt, Filmausschnitte von „Human Traffic“, „Naar de Klote“ oder auch Karmakars „196 bpm“ riefen viele Erinnerungen wach; die veränderte Zeiterfahrung, die Optik, das Tanzen und das Prollige schienen mir gut dargestellt; das Klischeehafte der Filme entsprach vielleicht der tollen klischeehaften Wirkung von Ecstasy. (Kann auch sein, dass man Filme anderes sieht, wenn die Enthusiasmen weiter zurückliegen.)

Nach diesem und jenem endete die Veranstaltung Sonntagnacht mit einem sehr schönen tagebuchhaften Text von Tim Stüttgen, der vom „Porno in mir“ erzählte. Es ging um Filme wie „Crank“, in dem die Protagonisten sich wie die Helden von Computerspielen zu verhalten gezwungen sind, um amateurhafte und DIY-Pornos, die die klassische Pornoindustrie in Bedrängnis bringen. Vor allem aber um den Ich-Erzähler, der eine Nacht lang im Internet Pornoclips guckt, dabei kokst, kifft und Becksbier trinkt, zwischendurch auch immer wieder in schlaue Bücher schaut, über dies alles zugleich persönlich und klug reflektiert und am Ende – das ist ja das Merkmal der Sucht – nicht kommt. „Ich träume von einer Welt, in der sich Arbeit und Privates sauber trennen lassen.“ Ich auch.