Vorsicht bei Geschenken

Ein Jahr vor ihrem Tod hat Leonie von Rüxleben ihren Schatz aus 1.040 Selbstbildnissen der Kunsthalle Lübeck überlassen. Ein Vertrauter der Sammlerin sieht allerdings den Vertrag verletzt

von Benno Schirrmeister

Beißhemmungen verspürt keiner mehr so recht: „Verzeihen Sie, ich muss das jetzt so sagen“, äußert sich Thorsten Rodiek über Peter Engel: „Der bläst sich ja ein bisschen auf.“ Der so geziehene Herr Engel wiederum behauptet, dass er sich „mit so jemandem wie dem Herrn Rodiek niemals streiten“ würde – will sagen: Das ist unter seiner Würde. Willkommen im Reich des Schöngeistigen und der Kunst! Und: Willkommen in Lübeck.

Dort nämlich leitet Rodiek die städtische St. Annen-Kunsthalle. Und die beherbergt die Ursache des Streits: Die Kollektion der im September verstorbenen Hamburger Sammlerin Leonie von Rüxleben. Geschenkt bekommen hat sie das Museum vor knapp zwei Jahren: Ein über 40 Jahre lang gemehrter Schatz aus 1.040 Selbstporträts, so genannten Papier-Arbeiten, also Zeichnungen und Grafiken. Die Bedingungen: Erstens ist die Sammlung als Ganzes zu erhalten und wissenschaftlich aufzubereiten. Zweitens waren herausragende Stücke im Rahmen einer Pressekonferenz zu präsentieren. Und drittens hat einmal jährlich eine aus ihrem Bestand bestückte Ausstellung stattzufinden.

Einmal jährlich, das ist ein ziemlicher Knebel, und Rodiek ist sich nicht sicher, ob er das ein zweites Mal zugesagt hätte. Aber im Februar 2004 akzeptierte er und unterzeichnete die Vereinbarung – genau wie die Kultursenatorin und der Bürgermeister.

Zumindest eine Ausstellung hat es bislang noch nicht gegeben. Und Engel, der als Berufsbezeichnung „Redakteur“ angibt, auch Selbstporträts sammelt und, gestützt auf eine Vollmacht, die Interessen der Verstorbenen wahrt, nennt das einen „Vertragsbruch“. „Diese Sammlung“, sagt er, „ist so etwas wie das Lebenswerk Frau von Rüxlebens“. Die ehemalige Getreidemaklerin habe „sie sich teils vom Munde abgespart“. Sie habe „auf Reisen verzichtet, wenn es darum ging, ein Werk zu erwerben und alles für die Kunst hintangestellt“. In Lübeck hingegen habe man bloß die Hand aufgehalten. „Meinen Sie, die Dame hätte eine Ehrung durch die Stadt erfahren?“, fragt er. Die Antwort ist natürlich Nein. Und dass die Lübecker nun für kommenden Juni eine erste Rüxleben-Schau ankündigen, reicht ihm keineswegs. „Die“, sagt er sogar, „wird es nicht geben.“ Grund: „Es wird auf jeden Fall geklagt.“ Wobei er da für den pressescheuen Sohn der Verstorbenen spricht. Eine Klageberechtigung umfasst seine Vollmacht nämlich nicht.

Während Lübecks Kultursenatorin Annette Borns „keinerlei Vertragsbruch“ erkennen will, verweist Rodiek auf die angespannte Personalsituation seines Hauses. Ohnehin sei es unmöglich „eine solche Sammlung binnen weniger Tage zu erfassen“. Sollte man in einem eventuellen Rechtsstreit unterliegen, werde man jedenfalls die bisherige Arbeit „in Rechnung stellen“.

Die bezeichnet Engel zwar als „primitiv“. Aber da liegt er nicht ganz richtig. Durch eine Art qualifizierte Inventarisierung hat man die Sammlung für die tiefergreifende wissenschaftliche Beschreibung vorbereitet.

„Wir haben die Blätter“, erläutert Rodiek, „abfotografiert und in eine Datenbank übertragen.“ Dafür sei „jedes vermessen, die Signatur beschrieben, die Lebensdaten und“ – bei Selbstporträts eine wichtige Größe – „der Schaffenszeitpunkt“ recherchiert worden.

So etwas braucht Zeit, bestätigen unabhängige Fachleute: Bei über 1.000 Arbeiten müsse man „schon von mehreren Jahren ausgehen“, sagt beispielsweise Thomas Deecke, im Auftrag der Bundesstiftung Kunstfonds fürs Programm Nachlässe und Zustiftungen zuständig. Wobei der ehemalige Direktor des Bremer Sammlermuseums die Frage nicht beantworten will, ob in Lübeck nicht doch die Augen größer waren als der Mund: „Private Sammler“, so der Kunsthistoriker, „diktieren zunehmend die Bedingungen, weil öffentliche Museen kaum über Etats für Ankäufe verfügen.“ Kompromisse aber will Engel nicht machen: „Dass sie das nicht schaffen“, findet er, „hätten die Lübecker schon bei Vertragsunterzeichnung wissen müssen.“