BAYERISCHE WAHLANALYSE: DIE CSU HAT IHR DROHPOTENZIAL VERLOREN
: Die Diagnose lautet: „Überflüssig“

Wenn die Führung der CSU ehrlich wäre, hätte sie bei ihrer Analyse der Bundestagswahl gestern eine niederschmetternde Bilanz ziehen müssen: Schlimmer kann es kaum noch werden. Selbst die Bayern wenden sich ab, die sicher geglaubte absolute Mehrheit ist in Gefahr – und der Blick nach Berlin bietet keinen Trost, im Gegenteil. Selten hat eine Partei so schnell so viel Einfluss verloren wie die CSU. Bis vor wenigen Monaten noch schien das Schicksal Deutschlands, zumindest aber das Angela Merkels, davon abzuhängen, wie sich der bayerische Teil der Union positioniert. Ein Halbsatz aus München über „Leichtmatrosen“ – und Merkel musste zittern. Ein Nein aus München – und Merkel konnte ihre Kopfpauschale knicken. Vorbei. Die Erkenntnisse der CSU über die Ursachen des Wahlausgangs sorgen nur noch für Achselzucken.

Wenn Edmund Stoiber sagt, die Union müsse wieder auf die „Emotionen und Stimmungen“ der Menschen eingehen, ist dies zwar Kritik an Merkel, aber keine Drohung. Dafür fehlt Stoiber inzwischen jegliche Autorität. Er ist seit seinem Rückzug aus Berlin nur noch einer von vielen Provinzpolitikern. Während Merkel am Wochenende zum allgemeinen Wohlgefallen Europas die Zukunft des Kontinents ausverhandelt hat, musste Stoiber froh sein, dass auch er ein bisschen Zuspruch fand – bei einem Besuch im Gymnasium von Oberhaching.

Stoiber braucht seine ganze Kraft, um das zu sichern, was er noch hat: die Macht daheim. Das wenigstens könnte ihm gelingen, weil im Moment kein Königsmörder in Sicht ist. Beckstein? Huber? Für eine schnelle Rebellion waren sie zu schwach, als Hoffnungsträger sind sie zu alt. Mögliche neue Konkurrenten laufen sich erst warm. So gibt es niemanden, der die Notlage der CSU ausspricht. Ihr droht die Überflüssigkeit. Als soziales Korrektiv kann sie sich in einer großen Koalition kaum profilieren, das übernimmt die SPD. Bleiben die „Emotionen“, also Stammtischparolen. Doch das Innenministerium hat Wolfgang Schäuble übernommen – und wie er in der Folter-Debatte bereits bewies, lässt er sich, wenn es hart auf hart kommt, auch von der CSU kaum übertreffen. LUKAS WALLRAFF