Bolivien wählt einen linken Präsidenten

Klarer als erwartet gewinnt der ehemalige Kokabauern-Gewerkschafter Evo Morales von der „Bewegung zum Sozialismus“ die Präsidentschaftswahlen in Bolivien. Doch das Land ist geteilt: In den reicheren Provinzen behielt die Rechte die Oberhand

VON GERHARD DILGER

Im Januar bekommt Bolivien einen Indígena als Staatsoberhaupt – erstmals in seiner Geschichte. Allen Hochrechnungen zufolge hat der Aymara-Indianer Evo Morales von der „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) sensationell klar gegen den rechten Expräsidenten Jorge „Tuto“ Quiroga gewonnen.

Bereits am Sonntagabend durfte der frühere Kokabauern-Gewerkschafter jubeln. „Compañeros und compañeras, wir haben bereits gewonnen“, rief Morales der jubelnden Menschenmenge zu, die den Platz vor der Wahlkampfzentrale in Cochabamba in ein blau-weiß-schwarzes Fahnenmeer verwandelt hatte. An ihren Fernsehern verfolgten Millionen BolivianerInnen die Rede direkt. Kurz zuvor hatte das von über 100 Medien gebildete Wahlforschungsprojekt Usted elige gemeldet, Morales habe die absolute Mehrheit erreicht: 50,9 Prozent, 19 mehr als Quiroga.

Mit dem amtlichen Endergebnis wird frühestens am heutigen Dienstag gerechnet. Doch selbst wenn Morales die absolute Mehrheit knapp verpassen sollte, dürften seine dann notwendige Kür durch das Parlament und sein Amtsantritt im Januar nur noch eine Formsache sein. Denn die MAS scheint zwar die Mehrheit im Kongress knapp zu verfehlen, doch der Drittplatzierte, Samuel Doria Medina (8,2 Prozent), ein liberaler Unternehmer, würde mit seiner Partei Nationale Einheit für Morales stimmen.

Auch Quiroga gratulierte Morales und sagte im Hinblick auf den Untergang zahlreicher Traditionsparteien, deren Vertreter reihenweise zu seinem Wahlbündnis Podemos oder zu Medinas UN übergelaufen waren, in Bolivien beginne ein „neuer Abschnitt“ der Demokratie. Eine Ausnahme dabei bildet die Nationalrevolutionäre Bewegung MNR, deren Kandidat auf rund 6,7 Prozent kam.

Die Wahl zeigte aber auch erneut die Zweiteilung Boliviens: Während sich Evo Morales in den fünf andinen Hochlandprovinzen durchsetzte, behielt Quiroga im so genannten Halbmond die Überhand, der sich von der Amazonasprovinz Pando über Beni und die wohlhabende Agrar- und Ölregion Santa Cruz bis zur Erdgasprovinz Tarija im Südosten erstreckt.

Im Parlament zeichnen sich zwei annähernd gleich große Lager ab: die MAS einerseits und der Bürgerblock mit Podemos, UN und MNR andererseits. Die derzeit relativ günstige Wirtschaftslage begünstige Morales geplante Strukturreformen wie eine Landreform oder die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung, meinte der Ökonom Gustavo Chávez.

„Es bricht eine neue Geschichte für Bolivien an, in der wir Gleichheit und Frieden mit sozialer Gerechtigkeit anstreben werden“, rief Morales auf der Siegesfeier in Cochabamba, und: „Das organisierte und einige Volk hat gezeigt, dass man die Neoliberalen und ihre Mitglieder im nationalen Wahlrat besiegen kann.“ Seinen Sieg habe er den Volksbewegungen und ihrem Kampf um die Kontrolle über die Rohstoffe zu verdanken, aber auch den Kokabauern in Chapare, wo er politisch groß wurde. Der „schmutzige Krieg“ mancher Medien habe ihm sogar genutzt.

„Zum Glück sind wir nicht allein, wir haben international viel Unterstützung“, rief Morales und wies die Ansicht hoher US-Funktionäre zurück, wonach Bolivien ein „gescheiterter Staat“ sei. Während die US-Regierung noch keine offizielle Stellungnahme abgab, meldete sich Otto Reich zu Wort, George W. Bushs früherer Lateinamerika-Beauftragter: „Hoffentlich setzt Morales nicht das um, was er in seinem Wahlkampf gesagt hat“, sagte Reich. Wenn sich Bolivien „feindselig gegenüber der internationalen Gemeinschaft“ zeige, werde diese ihre „Wirtschaftshilfen“ streichen: „Die Welt kann ohne Bolivien leben, aber Bolivien nicht ohne die Welt.“

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