PAAR IM CAFÉ
: Es kommt nichts mehr

„Gefalle ich dir nicht mehr?“, fragt er verzweifelt

Samstagnachmittag. Ich sitze im Café, träume vor mich hin, lese die Tageszeitungen. Dann ist es vorbei mit der Ruhe. Das Paar, genauer gesagt der Mann am Nebentisch, wird immer lauter. Er sagt zu seiner Frau: „Ich verstehe es nicht, wir lieben uns doch. Aber da kommt nichts von dir, absolut nichts: keine Lust, kein Spaß, kein Begehren, ich spüre dich nicht mehr. Unser Sexleben ist vollkommen ruiniert, eine Katastrophe, ein einziges Fiasko.“ Die Frau sagt nichts. Sie schweigt.

Ich betrachte die beiden aus den Augenwinkeln. Er ist Mitte vierzig, hat einen leichten Bauchansatz, trägt eine Brille. Sie ist wahrscheinlich etwas jünger, ist dünn und hat lockiges Haar. Ihr Gesichtsausdruck ist bockig.

Dann redet er wieder, setzt seine Anklage fort, sagt mit verzweifelter Wut in der Stimme: „Von dir kommt nichts im Bett. Das war doch mal anders. Mein Schwanz ist für dich zu einem Fremdkörper geworden. Weshalb nimmst du meinen Schwanz nicht in die Hand und sagst, dass ich einen schönen Schwanz habe. Verstehst du, ich spüre meinen Schwanz nicht mehr. Ich will meinen Schwanz wieder spüren.“ Sie schweigt, und nach einer kleinen Ewigkeit antwortet er auf ihr Schweigen mit nahezu flehentlicher Stimme: „Ja, schweigen, schweigen, das ist alles, was du kannst. Totschweigen, wegschweigen, aber das hilft uns auch nicht weiter. Warum sagst du nichts? Gefalle ich dir nicht mehr? Findest du mich nicht mehr attraktiv? Sollen wir den Rest unseres Lebens mit schlechtem Sex verbringen? Das ist doch alles verrückt: Ich liebe dich doch, wir lieben uns doch. Wie soll das denn jetzt weitergehen?“

Danach wieder Schweigen. Dann zahlt er. Während sie gehen, muss ich an diesen Satz aus Milan Kunderas „Unerträglicher Leichtigkeit des Seins“ denken: „Die Liebe mit der Sexualität zu verbinden war einer der bizarrsten Einfälle des Schöpfers.“

ALEM GRABOVAC