„Arbeiterkind bleibt Arbeiterkind“

INTEGRATION Martin Hyun ist Politikwissenschaftler und ehemaliger Spieler der Eishockeynationalmannschaft. Er weiß, was es heißt, als Gastarbeiterkind in einem Land zu leben, in dem die soziale Mobilität von Migranten nicht gefördert wird

■ Martin Hyun stammt aus der nordrhein-westfälischen Stadt Krefeld. Er studierte Politikwissenschaft und spielte unter anderem für die Junioren der Deutschen Nationalmannschaft im Eishockey. 2008 ist er nach Berlin-Friedrichshain gezogen. In seinem Buch „Ohne Fleiß kein Reis“ schreibt er humorvoll und pointiert über seine Eindrücke als Kind koreanischer Gastarbeiter. Angefangen beim Elternhaus – einem „150m[2]umfassenden Korea“ – erzählt er vom Aufwachsen in einer Kultur zwischen Kimbab und Bratwurst. Witzige Anekdoten, die meist von seinem strengen Vater provoziert werden, aber auch seine Erlebnisse mit den Klischees der Mitbürger und dem latent rassistischen deutschen Alltag machen seine kurzen Geschichten zu einem Beitrag zur Integrationsdebatte. Hyun schreibt ehrlich und humorvoll und verzichtet darauf, den moralischen Zeigefinger zu heben. Sein Buch ist im vergangenen Jahr im btb Verlag erschienen und kostet 14,99 Euro.

INTERVIEW HENGAME YAGHOOBIFARAH

taz: Herr Hyun, Sie sind in einer strengen koreanischen Familie in Krefeld aufgewachsen, heute leben Sie in Friedrichshain. „Wie ich ein guter Deutscher wurde“ lautet der Untertitel Ihres zweiten Buches. Was ist ein guter Deutscher?

Martin Hyun: Ich bin immer noch auf der Suche danach. Im Buch wird nicht erklärt, wie ich ein guter Deutscher wurde. Wie ich ein glücklicher Deutscher wurde, hingegen schon. Das war 1993. Weil ich Eishockey gespielt habe und die Nominierung für die Nationalmannschaft bekam, hieß es: „Was für einen Pass hast du? Einen koreanischen? Dann darfst du nicht für uns spielen.“ Und dann ging es Schlag auf Schlag. Der Beamte hatte zum Glück eine Affinität zum Eishockey und hat gesagt: „Heute könnt ihr allesamt deutsch werden!“ Für mich war das eine glückliche Sache, weil mein Vater mich mit 18 immer zur koreanischen Armee schicken wollte. Um ein guter Deutscher zu werden, müsste ich mich unters Messer legen. Man muss sich optisch verändern, diese klischeehaften blonden Haare, blauen Augen, lange Nase und so weiter. Ich spare jetzt sehr fleißig, damit ich mir die Operation eines Tages gönnen und ein vollkommener Deutscher werden kann.

Ihr Fazit scheint zu sein: Es ist egal, wie sehr du dich zu integrieren bemühst. Du wirst immer mit latentem Rassismus konfrontiert werden. Ist das der Grund, warum Sie sich so engagieren? Sie haben die Initiative „Hockey is diversity“ für Eishockeyspieler mit Migrationshintergrund gegründet und haben schon zwei Bücher zum Thema Deutschkoreaner geschrieben.

Es hat damit angefangen, dass ich nicht mehr leise sein wollte. Die Asiaten sind in der deutschen Gesellschaft kaum präsent, fast schon unsichtbar. Unsichtbar zu sein bedeutet, dass man sie leicht ignorieren kann. Man wird zum Spielball, und das wollte ich nicht mehr sein. Deswegen habe ich mit dem Schreiben angefangen. Ich wollte die Perspektive eines koreanisch-stämmigen Deutschen darlegen.

Als Sie nach Berlin kamen, haben Sie in Friedrichshain gewohnt. Trotz des offenen Rufs des Stadtteils haben Sie dort latenten Rassismus erlebt.

Ich glaube, kein Stadtteil ist besser oder schlechter als ein anderer. Ich war neu im Kiez und ich wusste noch nicht von den Vietnamesen, die hier Zigaretten verkaufen. Irgendwann habe ich in der Warschauer Straße auf einen Freund gewartet, trug einen Hoodie und vielleicht sah ich aus wie ein Zigarettenverkäufer, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall kam einer auf mich zu und meinte „Zigaretten? Zigaretten?“, und ich hab höflich gesagt: „Nein, ich bin Nichtraucher.“ Was hätte ich sonst sagen sollen? Bis ich es irgendwann verstanden habe.

Erscheint Ihnen Rassismus in Deutschland offensiver als woanders?

Wo es Minderheiten gibt, gibt es auch Rassismus und Diskriminierung. Nach meinen sechs Jahren in Amerika erlebe ich, dass es hier schon sehr offensiv ist. Hier wird kein Hehl daraus gemacht, man hört oft grenzwertige Sprüche, die eingeleitet werden mit den Worten „Ich bin nicht ausländerfeindlich, aber …“

Verletzt es Sie noch oder sind Sie mittlerweile abgeklärt?

Ich versuche es nicht persönlich zu nehmen, aber ich bin immer wieder überrascht, wie sehr sich der Rassismus in dieser Gesellschaft perfektioniert. Ich weiß nicht, wann er den Höhepunkt erreichen wird, weil ich das Gefühl habe, dass es täglich schlimmer wird.

Haben Sie in Ihrer Schulzeit in Krefeld Rassismus erfahren?

In meiner Grundschule waren die Migrantenkinder in der Überzahl, von daher gab es kein Problem mit Rassismus. Es gab vielleicht weniger als eine Hand voll einheimischer Schülerinnen und Schüler. Ich kenne sogar alle noch beim Namen: Markus, Michael, Nadine, Melanie, und das war’s, der Rest waren Migrantenkinder. Wo es anfing, war eher auf dem Gymnasium. Da kamen manchmal so Sticheleien.

Gab es in der Schulzeit Vorfälle, die Sie als besonders krass erinnern?

Meine Schwester ist heute Ärztin und wollte es auch immer werden. In der Oberstufe hat die Lehrerin aus dem Bio-Leistungskurs die Klasse gefragt, was der Traum der Schüler sei. Als meine Schwester dran war, hat sie gesagt, sie möchte gerne Medizinerin werden. Die Lehrerin hat geantwortet: „Aber Julia, könnt ihr euch denn diese teuren Bücher überhaupt leisten?“ Meine Schwester war im Bio-Leistungskurs bis dahin immer sehr gut bis gut, im Abiturjahr fiel ihre Note plötzlich auf ausreichend, das hat ihren Durchschnitt zerstört. Meine Schwester hat es durch den Medizinertest ausgeglichen und konnte direkt mit dem Studium anfangen. Man sieht sich im Leben immer zwei Mal wieder. Die Lehrerin wurde irgendwann krank und musste ins Krankenhaus. Sie war in der Obhut meiner Mutter, die Krankenschwester ist. Sie hatte dann, glaube ich, auch ein schlechtes Gewissen, weil sie erfahren hat, dass meine Schwester Ärztin geworden ist. Kindheitsträume darf man nicht zerstören, gerade als Pädagogin nicht.

Gab es in der Schule auch klassische Diskriminierung, die sich aus Ihrem Migrationshintergrund ergeben hat?

Ich habe es so erfahren, dass man in Schubladen gesteckt wurde. Man vermutete, dass ich als Arbeiterkind in dieser Schicht bleiben würde. Ein Ärztekind bekam automatisch eine Note besser. So war das tatsächlich.

Warum sind Sie so hartnäckig und wollen als Deutscher angesehen werden?

Man lebt ja hier. Meine Eltern sind als Gastarbeiter gekommen, und man möchte nicht in dieser sozialen Schicht bleiben, sondern weiterkommen. Meine Eltern haben mir immer eingetrichtert, dass mir in Deutschland alle Türen offen stünden, wenn ich mich genug anstrenge. Aber das war eine Lüge, meine Eltern wussten es nicht besser, sie kamen als junge Menschen nach Deutschland, um hier zu arbeiten. Mein Lebensmittelpunkt ist in Deutschland, ich habe alles getan, meine Eltern haben alles dafür getan, dass wir uns hier integrieren. Dass man dennoch Ausgrenzung erfährt, finde ich schmerzlich.

Viele Ausländer wollen sich gar nicht integrieren, hört man oft.

Das ist absolut plakativ. In meinem Freundeskreis gibt es sehr viele mit bemerkenswerten Lebensläufen. Nach der Grundschule wurden sie auf die Hauptschule geschickt, von dort haben sie sich auf die Realschule, dann auf die Abendschule oder das Gymnasium hochgearbeitet und das Abitur nachgeholt. Der Wille ist da, doch sie werden ausgegrenzt.

Wie reagierten Ihre Geschwister auf Ihr Buch?

Sie sind durch mein Buch wacher geworden. Das Absurde ist, dass sie vieles als festen Bestandteil dieser Gesellschaft angenommen haben. Sie haben gesagt, es gehöre zu dieser Kultur, und man müsse es akzeptieren. So wie meine Geschwister denken viele. Man fühlt sich machtlos. Aber das kann doch nicht sein, man muss sich dagegen wehren.