Schwarzer Schatten über einem roten Rathaus

Weil die Stadt Waltrop ihre Schulden nicht in den Griff bekommt, setzt ihr die Bezirksregierung einen „Berater“ vor. Die SPD-Bürgermeisterin muss sich nun mit einem CDU-Aufpasser als Sparkommissar herum schlagen. „Wir mussten einschreiten, damit die Kommune nicht kollabiert“, sagt die Behörde. In Nordrhein-Westfalen ist das bisher einzigartig

WALTROP taz ■ Die rote Rathauschefin hat ihren schwarzen Schatten bisher erst eine Viertelstunde gesehen. Aber man war sich auf Anhieb sympathisch. Zum Glück. Denn in Zukunft muss Anne Heck-Guthe, SPD-Bürgermeisterin der 30.000-Einwohner-Stadt Waltrop, für jeden Cent, den sie ausgibt, beim CDU-Politiker Wilhelm Niemann um Erlaubnis bitten. Das frühere Stadtoberhaupt von Rheine ist der Stadt Waltrop von der Bezirksregierung Münster als „Berater“ zur Seite gestellt worden. Der Grund: Die kleine Kommune bekommt ihre Finanzen nicht in den Griff.

Waltrop. Die „Wohnstadt im Grünen“, „Stadt der Schiffshebewerke“ und „Brücke zwischen der Kernzone des urbanen Industriegebiets und des ländlichen Münsterlands“ (Eigenwerbung), hat seit 1993 keinen ausgeglichenen Haushalt mehr aufgestellt. Die Kommune am Dortmund-Ems-Kanal schiebt 120 Millionen Euro Schulden vor sich her, angehäuft im Wechsel von SPD (bis 1999), CDU (1999-2004) und wieder SPD (ab 2004). Das ist NRW-Spitze.

Im laufenden Jahr decken die Einnahmen aus Steuern und Gebühren nicht einmal die Hälfte der kommunalen Ausgaben. Das Defizit im Verwaltungshaushalt hat sich in den vergangenen Jahren von zehn auf 44 Millionen Euro vervierfacht. Und als besondere Gemeinheit hat die Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen die Stadt in einer Studie zur Standortqualität gemeinsam mit den Nachbarstädten Datteln und Oer-Erkenschwick auf die letzten Plätze gesetzt.

Münsters Regierungspräsident Jörg Twenhöven (CDU) wird angesichts des Schuldenstands dramatisch: „Es ist Gefahr im Verzug. Wir mussten einschreiten, damit die Gemeinde nicht kollabiert“, sagt der Herr der Kommunalaufsicht. Deshalb hat er den Aufpasser Niemann engagiert – ein einzigartiger Fall in Nordrhein-Westfalen. „Das wird im Land sicher genau beobachtet“, sagt er.

Wilhelm Niemann selbst beschreibt seinen Auftrag als eine Art „mission impossible“: „Rein rechnerisch ist das Problem nicht zu lösen“, sagt er. Es müsse halt gespart werden, selbstverständlich „ohne Tabus“. Dass er das kann, habe er vor seiner Abwahl als Bürgermeister im Jahr 2004 gezeigt. „Obwohl wir zwei wichtige Bundeswehrstandorte verloren haben, habe ich die Schulden zum Ende meiner Amtszeit real getilgt“, sagt er. Trotzdem gibt er sich bescheiden: „Ich komme da jetzt nicht hin und trage eine Wunderpaste auf.“

Im Waltroper Rathaus wird nun gerätselt, wo der neue Mann sparen will. Bei der Musikschule? Der Volkshochschule? Oder beim Kinder- und Jugendbüro? „Ich hoffe, gerade da nicht“, sagt Bürgermeisterin Heck-Guthe. Sie ist froh, wenigstens noch mit am Tisch zu sitzen, wenn die Entscheidungen fallen. Denn Regierungspräsident Twenhöven hätte auch noch drastischere Schritte ergreifen können: Statt Wilhelm Niemann zu schicken, hätte er auch einen so genannten Staatskommissar einsetzen können. Und der hätte ganz ohne Rücksprache mit Rat und Bürgermeisterin über die Finanzen der Stadt gebieten können.

Angesichts solcher Aussichten gibt man sich in Waltrop kleinlaut. „Es ist klar, dass wir unseren Bürgern nicht mehr alles bieten können“, sagt die Bürgermeisterin. Weniger klar ist allerdings, wie Waltrop sich überhaupt in seine desaströse Finanzlage hineinmanövriert hat. „Wir haben keine teuren Prestigeprojekte gemacht“, beteuert Stadtsprecher Martin Voskort. „Mein Vorgänger hätte das Allwetterbad nicht mehr sanieren dürfen“, sagt Bürgermeisterin Heck-Guthe. Und vielleicht, so heißt es, habe man den Strukturwandel etwas verschlafen. Die letzte Zeche in Waltrop schloss 1979 – vor 26 Jahren.

Sanierer Niemann soll der Bezirksregierung nun Bericht erstatten über die Arbeit der Waltroper Stadtverwaltung in den vergangenen Jahren. Zu sehr will er jedoch nicht in alten Wunden rühren, schon der Zusammenarbeit mit den neuen Partnern wegen: „Ich trete nicht als Historiker auf. Ich schaue nach vorne.“ KLAUS JANSEN