Ehre sei Müller-Stahl

Der rühmanneske Wahl-Lübecker ist 75 Jahre alt und deshalb jetzt Opfer von Peter Harry Carstensen (CDU)

Manchmal sollen Ehrungen vor allem denjenigen beglänzen, der sie austeilt. Gestern ehrte – nach Redaktionsschluss – der schleswig-holsteinische Ministerpräsident den berühmtesten lebenden deutschen Schauspieler. Eine Schauspieler-Ehrung ist immer die Feier gewisser Projektionen – weshalb besser nicht über den Festakt berichtet wird. Sondern spekuliert.

Der Schauspieler ist natürlich Armin Müller-Stahl, der soeben 75 Jahre alt geworden ist. Und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident ist jener Mann, den der jetzige Oppositionsführer im Kieler Landtag einmal als seinen „dicken peinlichen Verlobten“ bezeichnet hat. Peter Harry Carstensen (CDU) durfte gestern Abend also dem Weltstar die Hand schütteln.

Aber Vorsicht! Müller-Stahl wirkt zwar immer so rühmannesk betulich. Doch der tut nur so. Wenn er seine Rolle annimmt, und sie Oscar-reif ausfüllt, wie diesen, sagen wir mal: konservative Erzieher-Ideale verkörpernden Vater in Shine (1996), dann tun sich Abgründe auf. Dieser Mann ist gefährlich. Einmal, weil er auch schon den Hitler gespielt hat – in seinem einzigen eigenen Film, und zwar als einen in einem Kellerloch hausenden, mit Erbsenpistolen hantierenden Greis: Viel tattriger und echter als Bruno Ganz.

Aber da ist mehr. Müller-Stahl, der DDR-Dissident, der unter Regisseuren wie Rainer-Werner Fassbinder und Jim Jarmush gedreht hat, weiß, dass er auf solche Ehrungen gut verzichten könnte. Jemand, der als in New York gestrandeter deutscher Taxifahrer in Night On Earth (1991) der ganzen Welt die besondere Tragik des Vornamens Helmut anschaulich gemacht hat, braucht, um nur das jüngste Beispiel zu nennen, auch zum 75. Geburtstag keine Medaille für Verdienste um den deutschen Film. Vielleicht aber den Festakt – als Bühne. Anlässlich der Medaillenbehängung jedenfalls monierte Müller-Stahl, der in Lübeck wohnt, und deshalb unters Ehrungsvolk Carstensens fällt, dass Kultur „heute so gerne aufs Abstellgleis geschoben wird“. In Schleswig-Holstein hat der Ministerpräsident zu Beginn seiner Amtszeit die Aufgaben eines Kulturministers „zur Chefsache“ gemacht. Dass er in diesem Bereich seither weitere Impulse gesetzt hätte, behauptet niemand. Aber vielleicht hat ja Müller-Stahl seinen Text vergessen. bes