DAS FLUPPENFESTIVAL IN DER ASTRASTUBE, DIE LIGA DER AUSSERGEWÖHNLICHEN GENTLEMEN IN FRIEDRICHSHAIN UND DIE NIEDERLAGE AUF HELLGRÜNEM KUNSTRASEN
: Das Bier schmeckt, das Bein wackelt

VON JENS UTHOFF

Die erste Farbe des frühen Samstagvormittags ist pink. Auf dem Weg zum Edeka geht ein Mann mit Hosen auf halbmast vor mir her. Darunter lugen unübersehbar neonpinke Boxershorts hervor. Dazu schwarze Lederjacke, zerzaustes Haar – guter Style. Der Mann, vielleicht knapp vierzig, hat ein Bier in der Hand. Er sieht glücklich aus.

Wenige Meter weiter mehr Pink: ein großflächiger Fleck an der Außenwand eines frisch sanierten Hauses. Geht man häufiger hier vorbei, kann man den Farbeimerkrieg zwischen Hauseigentümer und Kiezbewahrern gut verfolgen. Es steht 2:1 für die Kiezbewahrer. Einmal wurde bereits zurücksaniert, ehe der pinke Gegenschlag folgte. Beckett hätte seine Freude daran.

Nach dem Einkauf geht es zur mittäglichen Zeit bereits in die Kneipe. In der Astrastube wird das Auswärtsspiel des FC St. Pauli in Dresden übertragen. Auf dem Weg dorthin fällt mir auf, dass in Neukölln in aller Regelmäßigkeit Kühlschränke am Wegesrand liegen. Entweder Matratzen oder Kühlschränke. Man weiß mittlerweile nicht mehr so genau, ob es Readymades des anliegenden Ateliers sind oder Hausrat. Oder beides.

Die Astrastube ist braun-weiß geschmückt, in den Vereinsfarben St. Paulis. Ich kippe Mate in mich rein. Die Astrastube ist nicht nur die beste Fußballkneipe Neuköllns, sondern auch eine der verrauchtesten Locations im Kiez. Das liegt nicht nur an mangelnder Lüftung, sondern auch daran, dass hier überdurchschnittlich viele Kettenraucher zugegen sind. Es nötigt einem schon fast Respekt ab, wie die da mittags schon ihr Fluppenfestival abziehen. Auf der Leinwand kann man derweil verfolgen, wie St. Pauli eine 2:0-Führung kurzerhand in ein 2:3 umwandelt. Draußen ist dann frische Luft.

Am Abend folgt ein Ausflug nach Friedrichshain. Im Lovelite spielen Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen. Und schon wieder – der Bandname lässt es vermuten – hat es mit Fußball zu tun. Tennis Borussia Berlin (TeBe) feiert 111-Jähriges. Wenn man keine Titel zu feiern hat, muss man eben spitzfindig sein. „Komm doch mal zu TeBe!“, sagt eine junge, Flyer verteilende Frau am Eingang. Schals und Accessoires werden verkauft. Die Farbe: Lila. TeBe-lila.

Die Gentlemen sind die Nachfolgeband der Northern Souler von Superpunk und klingen ähnlich. Sie singen: „Wäre die Welt perfekt, wäre sie ein Song von Holland-Dozier-Holland oder Barrett Strong.“ Die Combo um Sänger Carsten Friedrichs feiert jene Sixties-Größen und die Detroiter Klänge dieser Zeit. Mit Orgeln, Saxofon und Original-Sixties-Gitarrensound gehen sie zu Werke. Dazu schlichte, einfache Texte wie „Meine Jeans“, „Mach mich traurig“ oder „Frühling im Park“.

Das Bier schmeckt, das Bein wackelt.

Auch während des Elektro-Gefrickels im Anschluss an die Gentlemen wackeln die Beine noch. Gegen eins fahre ich heim.

Am Sonntagmorgen spüre ich leichte Verkaterung. Die Farbe draußen: himmelblau, ein allzu unvertrauter Anblick. Dazu Sonne. Ich streife die Sonnenbrille über und latsche Richtung Hermannplatz, wo sich unser Fußballteam trifft. Wir fahren zum Auswärtsspiel in den Wedding. Auch unser italienischer Torwart, den wir „il gatto“ rufen, ist ein bisschen verkatert.

„Hallo, Jungs“, begrüßt uns ein herausgeputzter Mann mit Anzug und Krawatte an der Sportanlage des BFC Tur Abdin. Ist der Präsident persönlich gekommen zum Abstiegsderby der Senioren-Bezirksliga Staffel 1? Das nennt man Einsatz.

Hellgrüner Kunstrasen, in der Sonne schmilzt der letzte Schnee. Was unserem Team auch nichts bringt, nun verlieren wir auch noch 2:3. Il gatto summt auf der Rückfahrt trotzdem Salt ’n’ Pepa vor sich hin.

„Wie viele solcher Rückfahrten hat man schon hinter sich und der Tag war dank ’ner Niederlage gelaufen?“, fragt Fahrer P. Eine rhetorische Frage.

Der Tag ist in der Tat gelaufen. Und das Wochenende auch.