Filz und Ekel

PARIS Ein enger Freund der rechtsextremen Marine Le Pen half dem Sozialisten Jérôme Cahuzac, sein Schwarzgeldkonto im Ausland zu eröffnen

Nach den Affären um den Exminister und Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn (DSK) ging ein Stoßseufzer der Erleichterung durch Frankreich. Um ein Haar hätte ja das Land diesen Mann mit einer offenbar ungezügelten Sexualität zum Staatspräsidenten erkoren. Man stelle sich vor: Ein Staatschef, der von Sexparty zu Sexparty springt und die erstbeste Hotelangestellte anmacht. Die Leute waren schockiert. Warum hatte keiner der früheren Regierungs- und Parteikollegen vor diesem Typen gewarnt? Warum hatten die Medien nichts erwähnt von den Gerüchten und glitschigen Anekdoten, die über DSK offenbar zirkulierten?

Aber solche Themen waren politisch und journalistisch bislang nicht korrekt. In Frankreich wurde stets die Privatsphäre respektiert, und gegebenenfalls die berufliche Ethik über die auflagensteigernde Sensationsgier gestellt. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Politiker, Journalisten, Spitzenleute aus Wirtschaft, Finanz und Justiz einfach speziell eng befreundet und liiert sind. Da lädt ein Staatschef einen Staatsanwalt zum Urlaub ein, mehrere Minister wie Kouchner, DSK, Borloo, Baroin und jetzt sogar Präsident François Hollande haben oder hatten bekannte Journalistinnen als Partnerinnen. Scheinbar schlimmste politische Gegner entpuppen sich in der Parlaments-Cafeteria oder im Golfklub als herzlichste Duzfreunde. Jetzt wiederholt sich die Geschichte vom Filz auf einem anderen Terrain. Der Verdacht der Mauschelei ist derselbe. Es geht nicht um Sex und Vergewaltigungsklagen, sondern um Geld und Transparenz: Ein Exminister, der die Steuerflucht bekämpfen sollte, hatte selbst ein heimliches Konto im Ausland und dementierte dies vor der Nation, bis er schließlich wie Pinocchio als Lügner entlarvt wird. Und wieder fragt das konsternierte Publikum: Wer wusste davon und hat aus sträflicher Solidarität mit dem doch so sympathischen und gutaussehenden Jérôme Cahuzac betreten geschwiegen?

Das Misstrauen, um nicht zu sagen der Ekel der empörten BürgerInnen wuchs noch, als sie entdeckten, wer da alles mit dem schwarzen Schaf Cahuzac unter derselben Decke gesteckt haben soll. Der Sozialist Cahuzac, der als ehemaliger Starschönheitschirurg zum „Tout Paris“ zählt, hat auch Freunde bei der extremen Rechten. Einer davon war es, der für ihn als Anwalt in Genf das Bankkonto eröffnet hat, das ihm zum Verhängnis geworden ist. Diese hilfreiche Seele aber ist zufällig ein persönlicher Freund von Marine Le Pen (Front National). Cahuzacs Vermögensverwalter wiederum ist nicht nur der Halbbruder des Genfer Bankiers, sondern auch ein notorisch enger Vertrauter des früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy und dessen früherer Gattin Cécilia. Die Scheidungsanwältin von Cahuzacs Exgattin wiederum ist die Schwester des UMP-Parteivorsitzenden Jean-François Copé, der sich als Oppositionschef über den Skandal bei der linken Regierungspartei ins Fäustchen lacht. RUDOLF BALMER